Pastworld
bewaffnet, verspürte ein verzweifeltes Verlustgefühl, vermischt mit Wut und Erregung. Catchpole trug schwer an der Last des Geheimnisses, das ihn mit Furcht und Mitleid für die arme Eve erfüllte.
Ungehindert liefen sie durch die Menge. Niemand schien sie zu verfolgen und keiner der jovialen, rotgesichtigen Bobbys hielt sie auf. Catchpole fühlte im Vorbeigehen die Blicke der Gaffer. Aus reiner Gewohnheit reagierte er mit einem raschen Nicken, bevor sie in die Commercial Street einbogen. Ein eiserner Adlerkopf, der als Verzierung auf einem Geländer angebracht war, bewegte sich leicht und sehr langsam. Sein Blick schien ihnen zu folgen.
Inzwischen brannten die Gaslaternen und die Menschenmenge wurde immer dichter. Droschken und Pferdewagen holperten vorbei. BibleMac entdeckte nur einen einzigen zerlumpten Mann. Sie folgten ihm die Straße hinunter wie bei einem Katz-und-Maus-Spiel: Bald verschwanden sie in der Menge, bald tauchten sie wieder auf. Soweit sie sehen konnten, merkte er nicht, dass er verfolgt wurde.
Der Nebel lichtete sich. Die tief unter der Erde befindlichen Vorrichtungen änderten ihre Funktionsweisen. Die breite Straße war voller Leute auf dem Weg zum Feuerwerk und dem Abriss. Sie waren von Gaffern umringt, als sie hinter einem rumpelnden Karren auf die hell erleuchteten Fenster des Lyons Corner House zugingen. Erst jetzt merkte Catchpole, dass sie den zerlumpten Mann aus den Augen verloren hatten.
»Ich denke, wir sollten einen anderen Kurs einschlagen«, sagte Catchpole. »Wir nehmen einen anderen Eingang des alten U-Bahn-Systems und nähern uns dem Versteck des Phantoms durch einen der Tunnel. Damit könnte uns ein Überraschungsangriff gelingen.« Er zog ein Buch aus der Tasche, schlug es von hinten auf und holte einen zusammengefalteten U-Bahn-Plan heraus.
»Wir könnten den Eingang von St. Paul’s nehmen und von dort aus in den Tunnel.«
»Es wird da unten doch sicher dunkel sein«, gab BibleMac zu bedenken.
»Ja, stockdunkel. Da werden wir wohl etwas beschlagnahmen müssen.«
Ein Bobby mit hängendem Schnurrbart und einem fröhlichen Lächeln im Gesicht patrouillierte nicht weit von ihnen über den Gehsteig. Catchpole ging auf ihn zu und zückte seinen Ausweis. Kurz darauf kam er mit einer Polizeilaterne zurück.
»Damit sollten wir zurechtkommen.«
50
Abel Buckland saß in einem Teil des Hauptquartiers der Buckland Corporation, der außer für ihn und seinen persönlichen Sicherheitsbeamten für niemanden zugänglich war. Der Raum mit hoher Decke lag in einem der oberen Stockwerke. Eine der Wände war mit mehr als hundert Monitoren eingeschalteter Überwachungskameras bestückt. Schon vor einer Weile hatte Buckland eine E-Spion-Kamera in Bewegung gesetzt, die Sergeant Catchpole folgte. Er war nicht mehr allein unterwegs, sondern mit William Leightons Komplizen Japhet McCreddie. Die Kamera blieb ihnen dicht auf den Fersen, als sie zu einem der alten, mit Brettern vernagelten Eingänge der St. Paul’s U-Bahn-Station gelangten und sich den Weg in den verlassenen Bahnhof erkämpften. Plötzlich verschwand einer nach dem anderen in der Dunkelheit. Die E-Spion-Kamera blieb über dem leeren, offenen Eingang schweben, während Gaffer und Kinder mit Luftballons auf dem Weg zum Feuerwerk und dem Abriss übermütig vorbeirannten. Buckland schaltete den Monitor ab und wandte sich an Inspektor Prinsep.
»Wir nehmen mein privates Luftschiff, Prinsep. Lestrade ist in anderen Angelegenheiten unterwegs, er muss einen Auftrag erfüllen und darf sich dabei nicht stören lassen. Sie und ich müssen jemanden retten. Wir müssen los. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Aber Mr Buckland, Sir«, wandte Prinsep ein, »die Feierlichkeiten beginnen in einer Stunde.«
»Dann müssen die Idioten eben warten«, entgegnete Buckland und stand auf. »Das hier ist eine Sache auf Leben und Tod. Etwas, was wir unbedingt tun müssen.«
51
Das Phantom führte Eve in ihrem Samtkleid eine weitere Rolltreppe empor in einen großen Raum am Ende der verrosteten Stufen. Dort saß ein Mann an einen Stuhl gefesselt, der von einem zerlumpten Mann bewacht wurde. Beim Anblick des Phantoms sprang er auf die Füße und auch die Gestalt auf dem Stuhl richtete sich plötzlich auf, als wäre sie soeben erwacht.
»Sieh mal einer an«, sagte das Phantom, »Sie sind ja eingeschlafen, hatten wohl nicht genug Aufregung. Vielleicht kann ich das jetzt ändern. Komm mit mir, meine Liebe, und lerne jemanden kennen, der
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