Pastworld
eine sehr besondere Rolle in unser beider Leben gespielt hat. Komm, du musst nicht schüchtern sein.«
Eve und das Phantom standen vor Lucius Brown, der zu ihnen aufblickte, bevor er die Augen schloss und den Kopf senkte.
»Ich habe diesen Mann schon einmal gesehen«, sagte Eve überrascht. »Ich kenne ihn. Ich habe ihm einmal Tee gekocht – zu Hause. Er ist der ›vornehme Gast‹, ein alter Freund von Jack!«
»Ja«, sagte das Phantom, »das stimmt, ein sehr alter Freund von Jack.«
Lucius sah das Phantom an. »Lass mich allein mit dir sprechen, nur für eine Minute, bitte.«
Das Phantom ließ Eves Arm los, packte Lucius’ Mantelärmel und schob ihn ein Stück hoch, sodass man die adrette kleine Tätowierung auf der Innenseite des Handgelenks sehen konnte.
»Sieh mal«, sagte er, »das Kainsmal. Dr. Jack hatte genau das gleiche, aus Sicherheitsgründen, musst du wissen. Und jetzt will er mit mir unter vier Augen sprechen. Verzeih mir, aber ich möchte hören, was er zu sagen hat. Warte einen Moment, liebe Eve.«
Er deutete auf den zerlumpten Mann.
»Nimm sie mit nach da drüben und bleib solange bei ihr.«
»Nun?«, sagte er zu Lucius, als Eve außer Hörweite war.
»Gibt es eine Chance, an irgendeinen besseren Teil deines Charakters zu appellieren, sie einfach gehen und wieder untertauchen zu lassen?«
»Ein besserer Teil meines Charakters?« Das Phantom lachte. »Wie lustig, dass ausgerechnet du, mein Schöpfer, mein Macher, mein einzig wahrer Vater an meinen besseren Charakter appellierst. Du kennst meinen Charakter doch genauer als jeder andere. Sag du es mir: Habe ich einen besseren Charakter?«
»Vielleicht hast du ganz natürlich einen entwickelt, seit du in Freiheit bist. Es ist lange her.«
»In der Tat. Es kommt mir vor wie gestern, als du und Jack versucht habt, mich bei lebendigem Leib zu verbrennen, ihr, meine eigenen, lieben Ersatzeltern. War ich euch zu langweilig, habe ich euch nicht genügt?«
»Bitte, es gibt doch gar keinen Grund, dem armen Mädchen etwas anzutun. Du hast doch sicher inzwischen genügend Morde verübt?«
»Sie möchte, dass ich sie umbringe. Dafür wurde sie doch gemacht. Es wird mich zu Gott machen, sie immer und immer wieder umzubringen. Das Seltsame ist nur, dass sich jeder Mord grundlegend von dem davor unterscheidet. Das Gefühl ist jedes Mal ein anderes … Und nicht nur das, ich kann mich auch nur schwer erinnern. Oh, an das generelle Gefühl schon, aber nicht an den exakten, exquisiten Moment, wenn die Seele befreit wird. Man sagt, es sei ein wenig so wie der Höhepunkt beim Liebemachen der Menschen, aber da kenne ich mich ja nicht aus, nicht wahr?«
»Liebe, das ist das richtige Wort, Liebe«, sagte Lucius. »Konzentrier dich mal auf dieses Wort, diese Vorstellung. Im Grunde genommen ist Eve deine Schwester. Statt sie zu zerstören, solltest du sie beschützen und sie lieben.«
Von der anderen Seite der Schalterhalle her beobachtete Eve den Wortwechsel der beiden Männer und sah genau auf die Bewegungen ihrer Lippen. Von den gekachelten Wänden des alten Bahnhofs hallten unverständliche geflüsterte und gemurmelte Worte wie ein Echo wider. Doch indem Eve von den Lippen ablas, verstand sie jedes einzelne Wort so deutlich, als stünde es schwarz auf weiß auf einem Blatt Papier. Ihr wurde innerlich kalt, sie fühlte sich wie in einem Wachtraum. Nichts von dem, was sie sagten, ergab einen Sinn und trotzdem verstand sie alles. Dann wurde sie plötzlich aus dem Traum hinauskatapultiert. Sie dachte an BibleMac. Sie sah sein lächelndes Gesicht, die Fältchen um seine Augen. »Liebe«, hatte der Mann gerade gesagt. Das war es. Sie liebte BibleMac. Jetzt war es ihr klar. Sie musste weg von hier, sie musste ihn finden!
»Aber ich liebe sie doch«, sagte das Phantom. »Ich suche seit vielen Jahren nach ihr, ich habe sie gesucht und auf sie gewartet, auf dieses tapfere, wunderschöne Mädchen, das du so perfekt für mich erschaffen hast, Vater. «
»Ich habe sie nicht erschaffen. Ich habe sie lediglich programmiert, genau wie ich dich programmiert habe. Ich bin nicht ihr Erschaffer und auch nicht deiner, Adam! Gott hat dich und sie erschaffen, genauso wie er mich erschaffen hat. Irgendwo in deinem Inneren hast du eine Seele, einen Geist in der Maschinerie, das weiß ich genau. Trotz alldem, was du getan hast und was du vorhast zu tun, gibt es etwas Gutes in dir.«
»Oh, Vater, wie rührend, dass du glaubst, es gäbe trotz allem etwas Gutes in mir.« Er legte
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