Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
sie ihn einlud, erinnerte sie ihn an seine Visionen in der Kapelle und überredete ihn zur Seebestattung. Dazu brauchten sie nur noch ein Boot und der Einzige, der ihr nach wie vor dazu einfiel, war Antonio aus der Hotelcafeteria. Bei einem Kaffee schilderte sie Antonio die Situation und Antonio erklärte sich sofort bereit, sie mit dem Boot hinaus aufs Meer zu fahren, damit sie dort Xavers Asche verstreuen konnten.
Sie betrachtete Kilian, der vor dem Altar kniete, auf dem die Urne stand. Nun bekam er doch seine Trauerfeier für Xaver, die sie hier in der Kapelle beim Leuchtturm improvisierten, ohne jemanden gefragt zu haben.
Während Kilian seinen Trauergottesdienst abhielt, ließ sie die Zeit mit ihm Revue passieren. Bald würde er zurück in Deutschland sein … und er würde ihr fehlen. Sie musste wieder an den Kuss im Verlies denken. Bei Kilian würde die Trauer um seinen Bruder mit der Zeit verblassen und die intensiven Momente, die sie miteinander verbanden – wenn auch nicht sexueller, sondern tragischer Natur –, würde er schon viel eher vergessen haben. Und sie? Würde sie ihn auch so einfach vergessen können?
Kilian verneigte sich vor dem Altar wie ein Untertan vor seiner Königin, erhob sich, nahm die Urne wie ein Baby in den Arm und verließ die Kapelle. Joana sammelte die Blumen ein, mit denen sie die kleine Kirche eigens geschmückt hatte, und folgte Kilian hinaus in das Pinienwäldchen, das vom Lärm zirpender Zikaden erfüllt war. Sie sah auf die Uhr. Sie sollten sich beeilen. Antonio würde sicher schon mit dem Boot auf sie warten.
Antonio saß in seinem Fischerboot in der geschützten Cala und rauchte. Beunruhigt sah er auf das vom kräftigen Poniente aufgewühlte Meer jenseits einer Felsspitze hinaus, die sich den schäumenden Wogen entgegenstellte. Es war alles andere als ein perfekter Tag für dieses Vorhaben, aber er hatte es seinen Gästen – zwei Lebende und ein Toter – versprochen, heute diesen kleinen Bootsausflug zu unternehmen. Joana hatte ihm sogar Geld dafür angeboten, aber er hatte dankend abgelehnt.
Eine Woche war seit Elenas Tod vergangen und vier Tage, seit Kilian und Joana die Flucht aus der Finca gelungen war. Es waren alles andere als ruhige Tage für ihn gewesen. Ständig traten Beamte der Guardia Civil durch die Tür zur Cafeteria und jedes Mal vergaß er vor Schreck zu atmen, aber bis jetzt wollten sie immer nur Kaffee von ihm. Das bedeutete, es gab keine weiteren Spuren wegen Elena und sie hatten auch Fernando in Sevilla noch nicht geschnappt.
Bis gestern Nachmittag hatte sich seine Anspannung also noch in Grenzen gehalten, bis Joana sich an der Theke einen Kaffee bestellte. »Du hast doch ein kleines Boot, oder?«, hatte sie ihn ohne Umschweife gefragt und ihm ihr Anliegen erklärt. Im ersten Moment war er sprachlos gewesen. Ausgerechnet sie, Carmens große Schwester, fragte ihn, ob er mit einem Trauerzug übers Meer schippern wollte, als sei er ein Pfaffe! Als ob es nicht genug Boote in dieser Gegend gäbe, die sich zu diesem Zweck besser eigneten als seine nach Fisch stinkende Holzjolle. Oder wollte sie genau dieses Boot, dasselbe Boot, mit dem ihre kleine Schwester bereits vor zwei Jahren mit ihm herumgeschippert war? Hatte Joana einen Hintergedanken? Wusste sie doch etwas, was sie nur von Elena erfahren haben konnte, ehe diese den Abhang hinunterstürzte? War die Seebestattung nur ein Vorwand?
Er sah zu einer Möwe hinüber, die kreischend auf einem schwarzen Felsen im Meer landete, und schmunzelte über seine Paranoia. Nein, solche Spielchen passten nicht zur harmlosen Joana. Wenn jemand hier Spielchen trieb, dann war er es. Allmählich wurde er sich der Ironie des Schicksals bewusst: Wenn Joana und Kilian in der Finca nicht verdurstet waren, dann könnte er doch jetzt genau das Gegenteil bewirken … und sie ersaufen lassen!
Er lächelte. Aber jetzt war spontanes Handeln angesagt, da Joana und Kilian bereits aus dem Auto stiegen. Antonio winkte, startete den Außenborder und fuhr zum Strand, damit sie einsteigen konnten.
Kilian half Joana ins Boot, stellte die Urne auf die Schiffsplanken und stieg ebenfalls ein. Antonio legte rückwärts ab und er setzte sich neben Joana auf die vordere Holzbank des vier Meter langen Boots. Die Urne auf seinem Schoß hielt er wie eine wertvolle Porzellanvase umklammert. Joana wies mit dem Blumenstrauß zum Ausgang der kleinen Bucht.
»Es scheint ziemlich wellig zu sein!«, stellte sie fest. Kilian nickte.
Es ging ihm
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