Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
genauso wie mein Vater es damals angedroht hatte, als Carmen noch klein war. Mein Vater wäre also wohl mächtig stolz auf mich gewesen.« Sie verzog ihren Mund zu einem traurigen Grinsen.
Kilian streichelte ihre Schulter. »Und dann seid ihr einfach abgehauen?«
»Nein. Zuerst überlegten wir, ob wir zur Guardia Civil gehen sollten, aber wir entschieden uns dagegen, was eine unkluge Entscheidung war, schließlich hatten wir in Notwehr gehandelt. Aber trotzdem fühlten wir uns schuldig, also gaben wir acht, keine Spuren zu hinterlassen, reinigten die Küche und zogen Antonio die Hose hoch.«
»Aber warum hatte er seine Hose unten?«, unterbrach Kilian sie.
»Maite hatte eine etwas eigenwillige Verhörmethode. Das willst du lieber nicht im Detail wissen, glaub mir. Ihr Vorhaben jedenfalls ging gründlich schief, denn natürlich war sie nicht entschlossen genug, ihm diesen Teil seines Körpers tatsächlich abzuschneiden, und so entwand er ihr das Messer und begann sie zu würgen …«
Kilian griff sich an den Kopf. »Und die Guardia Civil? Hat sie euch nicht verhört?«
Joana musste lächeln. »Doch. Gleich am nächsten Morgen. Aber Paco hat uns nicht wirklich verdächtigt. Und weißt du, was die verrückte Maite als Alibi angab?«
Kilian schüttelte den Kopf.
»Sie erklärte Paco, sie hätte die Nacht mit Teniente Lozano – also seinen Vorgesetzten – verbracht. Das war vollkommener Schwachsinn, aber Paco konnte ihr ›Alibi‹ nicht überprüfen, das wäre viel zu peinlich für ihn gewesen. Schließlich wäre dann ja rausgekommen, dass der Teniente – angeblich – seine Frau betrogen hätte.«
Kilian erinnerte sich an Maite und musste ebenfalls grinsen, so traurig diese Geschichte auch war. Er streckte seine Hand nach Joana aus, aber sie nahm den Brief und ging zum Fenster. Kilian folgte ihr.
»Nur eins weißt du noch nicht«, sagte sie, als er neben ihr stand und auf die Straße hinabblickte. »Paco hat es mir bei dem Verhör erzählt und danach fühlte ich mich wesentlich besser wegen meiner Tat. Der Typ, der uns in Sevilla verschleppte, war ein vorbestrafter Kumpel von Antonio. Und er hat uns in Antonios Auftrag in diesen Viehstall gesperrt!«
Kilian sah sie fassungslos an. »Aber wieso das denn?«
»Wahrscheinlich haben wir Antonio mit unserer Schnüffelei nervös gemacht und er befürchtete, wir wären ihm auf der Spur. Vielleicht hat auch Elena ihm gegenüber etwas angedeutet, das ihm Angst machte. Sie war es schließlich, die bei mir anrief, aber ich will jetzt nicht mehr darüber sprechen. Es ist ohnehin alles gesagt!«
Kilian nickte.
Was für eine unglaubliche Geschichte, was für eine unglaubliche Frau. Joana hatte ihm seine Lebensfreude zurückgegeben, denn sobald sie mit ihm nach München gezogen war, verschwanden seine Depressionen und er hatte seine Antidepressiva die Toilette hinunterspülen können. Die Heilung erfolgte so schnell, dass er hinterher beinah glaubte, die Depressionen seien nur eingebildet gewesen und keine ernsthafte Erkrankung, die ihn das Leben hätte kosten können. Er wollte erst gar nicht daran denken, wie es ihm ohne Joana ergangen wäre.
Kilian stellte sich hinter sie und umfasste ihren Bauch. Er drückte zärtlich dagegen und spürte zum ersten Mal seinen Sohn Xaver, wie er gegen die Bauchdecke strampelte, als ob er es kaum erwarten könne, in diese Welt zu treten.
Joana öffnete das Fenster und ein kalter Luftzug wehte ihm ihre Locken ins Gesicht. Es hatte zu schneien begonnen. Sie nahm den Brief aus dem Kuvert und begann kleine Schnipsel, nicht größer als Schneeflocken, von den Seiten zu reißen. Langsam schwebten die Papierflocken zur Straße hinab. Einige blieben auf dem schneebedeckten Dach der Bushaltestation liegen, andere wehten wie Konfetti über die nasse Straße, wo das Schicksal ihrer Mutter von Autofahrern im Berufsverkehr überrollt wurde, wieder andere fielen auf den matschigen Gehsteig und hefteten sich an die Stiefel von Münchnern, die unbeirrt des Weges schritten. Als der letzte Papierfetzen auf einem Autodach landete, schloss Joana das Fenster und wandte sich Kilian zu.
Kilian umarmte sie. Ihr Bauch drückte gegen ihn.
»Joana, willst du mich heiraten?«
Joana sah zu ihm auf. Sie strich ihm eine Schneeflocke aus dem Haar. »Diese Geschichte … sie wird doch immer zwischen uns stehen, oder?«
Kilian schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Joana! Wir bekommen ein Baby. Deine Familie ist tot, genauso wie meine, lass uns an das Leben
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