Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
nicht gut und er wollte nicht reden. Seine Trübsal setzte sich aus mehreren Gründen zusammen und ein Teil davon hatte damit zu tun, wie er letztlich seinen Bruder würde bestatten müssen. Er hatte mit dem Konsulat und der Versicherung gestritten, aber es war absolut nichts zu machen gewesen. Xavers Leichnam nach Hause zu überstellen und vernünftig zu beerdigen, das konnte er sich nicht leisten. Um sein Gewissen zu beruhigen, versuchte er sich einzureden, dass sein Bruder schon zeit seines Lebens ohnehin auf Konventionen gepfiffen hatte. Kilian dachte an den Kaktus statt des Weihnachtsbaums und an Xavers Homosexualität. Vielleicht war an Joanas Interpretation seiner Visionen in der Kapelle doch etwas dran. Vielleicht wäre es Xaver tatsächlich lieber, dass seine Asche hier im warmen Mittelmeer verstreut wurde, anstatt dass sein Leichnam, mit den Heiligen Sakramenten versehen, in einem modrigen Grab in Riedhofen dahinwelkte, dort, wo am 1. November zu Allerheiligen, wenn die Dorfgemeinde der Toten gedachte, locker ein halber Meter Schnee liegen mochte. Kilian malte sich aus, wie bei dieser Gelegenheit einige der Dorfbewohner erhobenen Hauptes an Xavers Grab innehielten und ihre Meinung in die Mantelkrägen murmelten: Schau, der Xaver … seinen Vater hat er im Stich gelassen, genau wie seine Mutter und den Bauernhof. Recht geschieht’s ihm, dass er jetzt hier liegt!
Der dröhnende Lärm des Außenborders riss ihn aus seinen Gedanken. Das kleine Boot nahm jetzt Geschwindigkeit auf und Kilian musste sich in Fahrtrichtung lehnen, um das Gleichgewicht halten zu können. Er und Joana rückten in der Mitte näher zusammen, weil die Gischt über den niedrigen Seitenbord spritzte. Ihre Körper rieben aneinander, als das Boot über das vom Wind gerippte Wasser dem Ausgang der Bucht entgegenglitt.
Kilian dachte an die vergangenen Tage zurück. Nach ihrer geglückten Flucht hatte Joana Zeit gebraucht, um alles verarbeiten zu können. Er hatte dafür Verständnis, etwas anderes blieb ihm ja auch gar nicht übrig. Er war dann in ein kleines Hotel beim Peñon gezogen, ganz in der Nähe des Felsens, auf dem das Kreuz stand, und verbrachte die meiste Zeit damit, in seinem Zimmer zu grübeln: über sein bisheriges Leben, seinen Bruder und die anderen Todesfälle im »Palace«, über Joana und ihre gemeinsame Flucht aus der verlassenen Finca … und über diesen Kuss … aber dann wollte Joana ihm plötzlich aus dem Weg gehen und er fühlte sich so elend, dass er zwei Antidepressiva täglich hatte schlucken müssen. Die Tabletten bewirkten genau so viel, wie ein einziges Aspirin gegen einen Kater nach einem Liter billigen Schnaps. Trotzdem hatte er sich aufgerafft und es sogar geschafft, seinen Reisepass zurückzubekommen. Er hatte wegen Xavers Freigabe ein Formular unterschreiben müssen und die Beamtin erklärte: »You can take away your brother now.«
Ja, ja, »take away« – als ob das so einfach wäre wie beim Chinesen.
Frau Schimmler vom Konsulat verwies ihn an die Versicherung, aber Xaver war angeblich nicht reiseschutzversichert. Und an eine Lebensversicherung, die so etwas hätte tragen können, hatte sein Bruder auch nicht gedacht. Gerne könnten sie den Rücktransport organisieren, bot ihm Frau Schimmler an, aber die Kosten – etwa fünftausend Euro – müsse er im Voraus bezahlen. Dazu kämen noch die Bestattungskosten in München. Er stand also vor einem echten Problem.
Und gerade, als er sich an den Strand setzen wollte, um über dieses Problem nachzudenken, da lief ihm Joana über den Weg. Joana, bei der er sich nicht gemeldet hatte, obwohl er ständig an diesen Kuss in der Finca denken musste. Aber nicht aus Sturheit oder verletztem Stolz hatte er nicht versucht, sie zu erreichen, sondern weil er im Begriff war, sich in sie zu verlieben. Seine Gefühle für diese Frau waren etwas, das er noch nie zuvor erlebt hatte. Er fühlte sich wohl in ihrer Nähe, schätzte ihre unbeschwerte Art im Umgang mit seiner düsteren Seele und nicht zuletzt war sie die attraktivste Frau, mit der er bis dato verkehrte, wenn auch rein platonisch. Er mochte sie, nein, er brauchte diese Frau, und genau deswegen hielt er Abstand zu ihr. Zum einen war er sich nicht darüber im Klaren, ob Joana Ähnliches für ihn empfand, schließlich hatte sie ihn rausgeworfen. Und zum anderen hatte er sich ja bereits entschieden.
Als sie sich dann vor seinem Hotel trafen, lag deswegen eine gewisse Reserviertheit zwischen ihnen. Er teilte ihr
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