Pata Negra: Kriminalroman (German Edition)
Käfig im Wald hatte sie unter der Vorstellung gelitten, dass er ihretwegen – wegen ihrer verdammten Leichtgläubigkeit! – würde sterben müssen. Kilian allerdings hatte ihr deswegen nie einen Vorwurf gemacht. Dazu aber kamen noch die Schmerzen um den neuerlichen Verlust ihrer Schwester, obwohl sie sich einhämmerte, dass sie so nicht denken durfte, und obendrein noch die Trauer um ihre Mutter. Es wurde einfach zu viel. Sie musste das alles erst einmal verarbeiten und das konnte sie nur alleine. Aber da war auch noch dieser Kuss, an den sie ständig denken musste. Dieser leidenschaftliche Kuss zweier staubiger, nach Hühnerkacke stinkender Menschen in Todesangst.
»Was ist mit Kilian?«, unterbrach Maite Joanas reumütige Gedanken.
»Ich hab ihn rausgeschmissen«, antwortete sie. »Seitdem hab ich nichts mehr von ihm gehört. Er hat mir das Leben gerettet, verstehst du … und er ist ohnehin psychisch labil … und was ist, wenn er …?« Joana begann zu schniefen.
»Ach du Scheiße!«, entfuhr es Maite. »Komm, wir gehen erst mal zu Antonio auf einen Kaffee.«
Antonio konnte es nicht fassen. Da plante er das perfekte Verbrechen, das er nicht mal selbst hatte begehen müssen, und nun saß Joana vor ihm auf dem Barhocker und tuschelte mit ihrer Busenfreundin Maite, wobei jedes zweite Wort »Kilian« lautete. Verdammt, der lebte also auch noch! Nach dem ersten Schreck zwang er sich zur Ruhe und legte seinen »Mensch Joana, wie bist du denn da rausgekommen?«-Gesichtsausdruck ab.
Zu seiner Beruhigung trug bei, dass Maite und Joana ihn kaum beachteten. Das konnte nur bedeuten, sie hatten noch keine Ahnung, wer für Joana den Aufenthalt in diesem Landhaus organisiert hatte. Aber die Entführung war bestimmt schon der Polizei gemeldet worden. Und die würde dort draußen jetzt Spuren sichern. Er hatte wie immer keine Spuren hinterlassen, sogar sein Sperma ließ er vorsichtshalber in den Motorradstiefel tropfen, aber Fernando? Fernando, den Joana und Kilian der Polizei nun beschreiben konnten! Wie lange würde es dauern, bis sie Fernando schnappten und bis dieser aussagte, wer die glorreiche Idee gehabt hatte, die beiden in die Finca zu sperren? Er selbst würde es vehement abstreiten und Fernando war vorbestraft, im Gegensatz zu ihm, aber trotzdem: Die Schlinge zog sich zu! Die Guardia Civil verdächtigte ihn wegen Elena und wenn Fernando ihnen nun erzählte … Sollte er Fernando vielleicht auch noch beseitigen, ehe er ihn verpfeifen konnte? Verdammter Teufelskreis, in den ich da geraten bin, dachte er, während Joana zwei Münzen auf die Theke legte.
»Ihr seid eingeladen«, sagte er.
»Danke«, erwiderte Joana und schob ihm die leere Tasse zu. Antonio wandte sich an sie. Er liebte diese Spielchen, diesen Nervenkitzel: »Maite hat mir erzählt, du warst mit Kilian auf Urlaub in Sevilla?«
»Hm … ja«, antwortete Joana, schien aber keine große Lust zu haben, das Thema vor ihm weiter auszuführen.
»Und hat Kilian die Stadt gefallen?«
»Wir waren auf dem Land«, entgegnete sie.
»Dort soll es auch sehr schön sein, und wie war euer Hotel?« Er sah Joana in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Hätte besser sein können«, erwiderte Joana und beeilte sich, die Cafeteria zu verlassen.
Ja, dachte er wieder, er liebte diese Spielchen! Und wenn sein Gefühl ihn nicht trog, dann war dieses Spiel noch lange nicht vorbei.
39
J oana saß wieder auf demselben Platz in der Kapelle wie schon vor vier Tagen, als Kilian hier seine sogenannten »Visionen« bekommen hatte. Ob schließlich Kilians Eingebung mit dem Boot oder doch die harte Wirklichkeit den Ausschlag gab, dass er sich dazu durchrang, seinen Bruder im Meer zu bestatten, wusste sie nicht. Die Realität war jedenfalls, dass Kilian in den vergangenen Tagen den Rücktransport seines Bruders hatte organisieren wollen, aber es existierte keine entsprechende Versicherung, und so sei es ihm finanziell nicht möglich gewesen, das Vorhaben durchzuführen. Das behauptete Kilian zumindest, als sie ihn vorgestern in Almuñécar rein zufällig getroffen hatte. Rein zufällig , nachdem sie den ganzen Ort nach ihm abgesucht hatte, weil er sich nicht meldete.
Kilian wohnte nun im Hotel »Casablanca« an der Plaza San Cristóbal, hatte sich bereits seinen Pass vom Gericht abgeholt und sich ein Rückflugticket nach München besorgt. Nur was er mit dem Leichnam seines Bruders anstellen sollte, das wusste er noch nicht. Bei einem Bier der Versöhnung, auf das
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