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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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paar Tagen ist meine Premiere, pochte es in meiner Schläfe. »Endlich allein mit meinem Schmerz«, die Arie der lebenslustigen, in diesem Moment gebrochenen Marie – wie sie jetzt singen? Singen??? Ein Fremdwort in diesem Moment. Ich brüllte mich selbst an. Ich brüllte mich an, um aus dieser Angst herauszufinden.
    Einige der Ensemblemitglieder hatten die Nachricht natürlich auch gehört, ich sah es in ihren Blicken – angesprochen hat mich, wie meist, keiner. Nur kein Berühren dieses Schattens.
    Smetana, mährisch-böhmische Klänge und deutsch-deutscher Abgrundnebel sind seitdem für mich nicht mehr zu trennen – die Radiomeldung und das Stück haben sich zu einer neuen Komposition verbunden.

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Hoffnungen und Illusionen
Julia Albrecht
    Die 13 Jahre ihrer Abwesenheit waren für uns auch geprägt von der stets aufrechterhaltenen Hoffnung, dass Susanne – wenn sie denn wieder auftauchte – eine Geschichte zu erzählen haben würde, die die ungeheure Last ihres Verrats in einem anderen Licht erscheinen lassen würde. Ich wusste zwar nicht, was das sein sollte, aber ich hielt daran fest, dass sie selbst vielleicht am bittersten an dem litt, was sie getan hatte. Auch in dem Entwurf des Briefes an Ignes Ponto sprach mein Vater von dieser Hoffnung: Wir können und wollen die Hoffnung, wenn man das schon eine Hoffnung nennen darf, nicht aufgeben, dass Zwang sie geleitet hat. Seelischer Zwang oder äußerer Zwang oder Täuschung über Absichten.
    Dieses, die Hoffnung nicht aufgeben wollen, hat uns unbewusst gelenkt und geleitet. Anzunehmen, sie habe den Verrat willentlich begangen, hätte uns gänzlich den Boden unter den Füßen weggezogen.
    Wenn es zur Gewissheit wird, dass ein Mensch, der zur eigenen Familie gehört, von denselben Eltern geboren und großgezogen wurde, etwas tut, was moralisch alles beschädigt, woran man selbst glaubt, dann ist man auch mit sich selbst nicht mehr im Reinen. Der tödliche Verrat lässt einen nicht mehr los. Das ist das Entscheidende.
    Diese Nähe zu einem Verbrechen, selbst wenn man vollkommen unschuldig ist, macht es schwer, sich davon wieder zu emanzipieren. Mir scheint es strukturell fast unmöglich, mich von dem Gefühl zu lösen, auch irgendwie schuldig geworden zu sein. Woran liegt das? Ich habe darauf keine Antwort.
    In den 13 Jahren der Abwesenheit haben meine Eltern mich nicht darüber auf dem Laufenden gehalten, dass sowohl Verfassungsschützer wie auch Bundesanwälte immer wieder Kontakt zu ihnen aufgenommen haben. In unregelmäßigen Abständen kam von dort der Hinweis, dass die Tochter möglicherweise hier oder dort, in irgendwelchen Camps im näheren oder ferneren Osten gesichtet worden sei. Andere Falschmeldungen wie die, meine Schwester lebe als Au-pair-Mädchen in Florida, wurden von Boulevardzeitungen verbreitet. Mehrfach schrieben meine Eltern ihr – auf Wunsch der Behörde – Briefe, die die BKA – Beamten auf den Weg bringen wollten. Einmal sollte mein Vater persönlich nach Beirut reisen, um dort in einem Ausbildungslager nach ihr zu suchen. Meine Mutter hat dem Einhalt geboten. Im Nachhinein wurde klar, dass nicht einer dieser Hinweise richtig gewesen war.
    Während die – wenn auch falschen – Spuren, von denen die Verfolgungsbehörden berichteten, immerhin darauf hindeuten konnten, dass die Tochter noch lebte, suchten meine Eltern auch nach Spuren, die vielleicht ihre nur eingeschränkte Schuld belegen könnten. Sie sprachen mit Peter-Jürgen Boock, der in Hamburg inhaftiert war. Es gibt einen handschriftlichen Vermerk meines Vaters aus dem Jahr 1981, in dem er festhält: Boocks Aussage an mich in Gegenwart von [Rechtsanwalt] Römming: Susanne gezwungen, fertiggemacht, willenlos zusammengebrochen, StA [Staatsanwalt] Pfaff bestätigt Boocks Aussage, auch ihm gegenüber gemacht.
    Stefan Aust, der auch mit Boock gesprochen hatte, hat dieseVersion dann in sein Buch »Der Baader Meinhof Komplex« übernommen. Er schreibt dort: »Susanne Albrecht hatte eigentlich nicht mitmachen wollen. ›Sie hat geheult‹, erinnerte sich später Peter-Jürgen Boock, ›aber sie war in einer Art und Weise dazu gebracht worden, dann doch mitzumachen, die fast an Gehirnwäsche erinnert.‹«
    Das wollten wir natürlich gerne glauben. Wenn sie gezwungen worden war, dann hieß das doch automatisch: weniger Schuld – und weniger Last, auch für uns. Allerdings gibt es in den Unterlagen, die meine Mutter mir gegeben hat, auch einen Hinweis darauf, dass mein Vater

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