Patentöchter
Nur einen Tag nach ihrer Ankunft in Berlin wurden zunächst sie, und dann, innerhalb weniger Tage, alle anderen in der DDR untergeschlüpften Ex- RAF ler festgenommen.
Seit dem Fall der Mauer war ein gutes halbes Jahr vergangen, ein Zeitraum, der von allen Seiten für die Aktenvernichtung genutzt werden konnte.
Wie weitgehend die Erkenntnisse bzw. Vermutungen auf bundesdeutscher Seite schon früh gediehen waren, ergibt sich aus einer Information, die die Abteilung XXII der Staatssicherheit im Juli 1978 erhielt: »Nach Ausführungen durch Staatssekretär Schüler vermutet die Bundesregierung hinter den bisher durchgeführten Terroraktionen eine zentral gesteuerte Aktion durch eine bestimmte Personengruppe, von der man bis jetzt keinerlei Ahnung habe. Nach dieser Meinung seien alle bisher gefassten Personen nur Randfiguren.« ( BS t U , HA XXII 416/2)
Das ist eine über dreißig Jahre alte Einschätzung, die ich in dieser Deutlichkeit bisher nur in den Ostpapieren gefunden habe.
Der Atem bleibt mir immer wieder stehen bei all den offenen Fragen. Inzwischen tief vertraut ist mir auch ein stetig gewachsenes Entsetzen, dass uns diese Geschichte bis zum heutigen Tag nicht aufrichtig und nur annähernd vollständig erzählt wurde.
Wie bin ich eigentlich in diesen Aktentunnel hineingeraten? Ich wollte der Himmelsrichtung nachgehen, in die unsere Vermutungen schon immer gedeutet hatten. Also schaute ich, ob ich Informationen zu meinem Vater in den Regalen der Birthler-Behörde finden könnte. Es gab auch etwas: zwei Karteikarten aus dem Jahr 1969. Sie waren für die Abteilung IX /11 der Staatssicherheit angelegt worden, der »Aufklärung und Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen« oblag. Offenbar sollte eine eventuelle Nazivergangenheit meines Vaters aufgespürt werden. Stand er tatsächlich schon seit Ende der Sechzigerjahre unter Beobachtung? War er vielleicht schon seit damals im Visier? Auf den Karten ist unsere erste hessische Adresse verzeichnet, dazu finden sich Hinweise auf diverse Zeitungsartikel. Ansonsten sind beide Karten leer.
Sie haben nichts gefunden. Ich hingegen finde auf den beiden fast leeren Karten nach über vierzig Jahren das frühe Ausforschungsinteresse des MfS dokumentiert. Nur zwei Tonscherben sind mir in die Hände gefallen. Aber sie zeigen, dass es ein Gefäß gab.
»Jeder wusste so viel, wie es brauchte zu dem, was er konkret tut«, sagte S. in ihrer Aussage im Prozess gegen Silke Maier-Witt am 3. Oktober 1994. Wo liefen die Fäden des Einzelwissens zusammen? Wer kannte den Gesamtplan?
In einem der letzten handgeschriebenen Berichte des Aktenvorgangs Stern findet sich ein paar Seiten nach dem Eintrag Bis zum 30.6. Verena-Becker-Akte aufarbeiten! am 1. März 1990 in der winzigen Handschrift von Führungsoffizier Petzold folgende Notiz:
Briesen nicht haltbar / vorbereiten
Objekt 75 warten
Konspirative Wohnungen alle offen –
Abschlussberichte vorbereiten.
Am 7. September 1990 wurde bei Erich Mielke, »wohnhaft Prendener Straße, Berlin«, auf Anordnung des Generalstaatsanwalts der Deutschen Demokratischen Republik wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§129 a Abs. 3 STGB der BRD ) eine Durchsuchung durchgeführt. 196 Positionen umfasst das Beschlagnahmeprotokoll, darunter über 100 Positionen Personalakten von RAF – Terroristen. Wir haben nie davon gehört.
Ein knappes Jahr zuvor, am 18. November 1989, noch nach dem Fall der Mauer, hatte der Chef der MfS-Bürokraten, der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, zu seiner weit über hundert Ordensabzeichen umfassenden Sammlung noch einen letzten Orden erhalten: den Ehrendolch mit Gravur.
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Der Ost-West-Komplex
Corinna Ponto
In der Zeit, als der Film »Der Baader Meinhof Komplex« in den Kinos lief, fragte mich ein Schüler, warum man eigentlich so wenig über die RAF – Zeit wisse. Man könne sich so schwer eine Meinung dazu bilden. Er wolle mehr wissen, aber irgendwie sei das Thema nicht greifbar, und die Lehrer würden es auch nicht anfassen wollen.
Kann es vielleicht auch daran liegen, dass die vielen Autoren und Kunstschaffenden, die das Thema nur zu gern angefasst haben, wesentliche Dinge nicht wissen wollten? Bei der Aufarbeitung der NS – Zeit war die Kernfrage über Jahrzehnte: Was wussten die Deutschen? Bei der RAF – Aufarbeitung schien es irgendwie darum zu gehen: W as sollen die Deutschen nicht wissen?
Es ist doch völlig irrsinnig. Noch nie waren wir medial
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