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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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entlang, aber keines der Autos, die kamen, hielt an. Ich blieb also da, zu ängstlich, einen Schritt auf sie zuzutun und zu wütend zu gehen. Nach einer Ewigkeit brachte Mr. Entwistle mich nach Hause. Ich ging zur Polizei. Sie sagten mir, solange ich die Freier abschreckte, würden die Mädchen nicht arbeiten, und ohne Beweise könnten sie nichts unternehmen. Es war eine furchtbare Ironie des Schicksals. Trotzdem stellte ich mich jeden Abend von acht bis zehn unter diese Laterne, und so lernte ich sie kennen.«
    Schwester Dorothy griff nach dem Aschenbecher auf dem Couchtisch und stellte ihn zwischen sie beide auf Anselms Sessellehne. »So habe ich Elizabeth kennen gelernt«, wiederholte sie. »Abends, eine Fünfzehnjährige mit langen schwarzen Haaren, weißen Beinen und ohne Strümpfe … mit nackten Füßen in schicken schwarzen Schuhen. Sie war die Einzige, die überhaupt in meine Nähe kam bis auf einen Abstand wie zu dem Sessel da drüben. Nah genug, um Freier abzuschrecken, und weit genug, um meine Stimme gerade noch zu hören. Jeden Abend kam ich an diese Laterne, und jeden Abend blieb sie in Hörweite. So erfuhr ich ihren Namen. Sie brachte mir das Rauchen bei. Können Sie sich uns beide vorstellen, wie wir an der Bordsteinkante standen und rauchten? Wir redeten über das Wetter – über alles Mögliche, nur nicht darüber, warum sie da war und woher sie kam. Wenn Mr. Entwistle kam, öffnete ich die Wagentür, und sie schaute mich nur an und schüttelte den Kopf. Und dann, eines Abends, kam sie mit.«
    In Anselms Kopf wimmelte es von Erinnerungen an Elizabeth, aber keine hatte auch nur entfernte Ähnlichkeit mit der Beschreibung, die er gerade gehört hatte. Er sah sich als Referendar bei der Anwaltskammer, wie er sich mit der besten Kronanwältin ihres Fachbereichs eine Schachtel Jaffa-Kekse teilte. Sie hatte ihn gewissermaßen ausgesucht und ihre Plauderstündchen angefangen …
    »Sie stand dichter bei mir als sonst«, erzählte Schwester Dorothy und beugte sich zu Anselm. »Neben ihren Füßen stand ein kleiner roter Koffer, wie man ihn für einen Wochenendausflug mitnimmt. Und über ihre Schulter hinweg sah ich jemanden auf dem Bürgersteig herumschleichen. Er war kein Junge mehr, aber auch noch kein Mann, ein drahtiger Bursche, der die Hände in die Taschen grub. In dem Augenblick hielt das Taxi … Elizabeth drehte sich um, als hätte sie die ganze Zeit gewusst, dass er da herumschlich. ›Ich habe alles bezahlt‹, sagte sie nachdrücklich, ›jetzt schulde ich dir nichts mehr.‹ Ich öffnete die Wagentür, und sie nahm ihr Köfferchen und stieg ein. Dieser ausgemergelte, getriebene Bursche auf dem Bürgersteig war Riley. Als ich am nächsten Abend wiederkam, war die Straße leer und das besetzte Haus geräumt.«
    Anselm drehte ihnen beiden frische Zigaretten und fummelte mit den Blättchen herum. Er kam mit Schwester Dorothys Erzählfluss kaum mit. Sie redete immer schneller zu den leeren Sesseln im Aufenthaltsraum. Elizabeth war Monate im Wohnheim geblieben. Hatte sich geweigert, nach Hause zu gehen. Wollte nicht essen. Wollte nicht reden. Endlich war sie bereit, Schwester Dorothy als Mittlerin zu akzeptieren. Aber sie machte unmissverständlich klar, dass sie endgültig abtauchen würde, falls man sie nach Hause schicken sollte.
    »Also klopfte ich an die Tür«, sagte Schwester Dorothy langsamer, als wäre sie gerade einmal quer durch London marschiert. »Ich sagte Mrs. Steadman, dass ihre Tochter weggelaufen, aber nun in Sicherheit sei.« Sie warf Anselm einen Seitenblick aus schmalen, feuchten Augen zu. »Ich habe diese Arbeit jahrelang gemacht und habe immer wieder mit Hysterie und Sorge und alledem umgehen müssen … Aber dieses Mal, und das ist mir nie zuvor und seitdem nie wieder begegnet, stieß ich sofort auf völlige Resignation.«
    Sie bat mit einer Geste um Feuer, weil ihre Zigarette ausgegangen war. Anselm zündete ein Streichholz an. »Was war mit Mr. Steadman?«, fragte er nach kurzem Schweigen.
    »Unfalltod«, antwortete sie durch Zigarettenrauch. »Mrs. Steadman wollte nicht darüber reden, aber die Behörden brauchten den Totenschein, als sie über Elizabeth’ Zukunft zu entscheiden hatten – so habe ich es erfahren. In all den Jahren danach hat Elizabeth ihn nie erwähnt. Kein einziges Mal.«
    Mit gerichtlicher Genehmigung durfte Elizabeth die Schule in Carlisle besuchen und Schwester Dorothy als Kontaktperson zu Mrs. Steadman fungieren. Der Gerichtsbeschluss lag oben

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