Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Schlosses«, sagte Schwester Dorothy und schob eine silberne Haarsträhne unter ihre Pakol. »Es war Markt und viel Betrieb, aber Elizabeth schien es gar nicht zu merken. Sie konnte den Blick nicht von den drei Leuten auf dem Bild wenden. Ziemlich traurig fing sie an, sich auszumalen, wer sie waren und welche Geschichte sie haben mochten. Ich machte mit. Elizabeth dachte sich den verrückten Erfinder aus, der von einem Rauchmelder träumte, und ich fügte die Ehefrau mit dem Witz über den Feuerlöscher hinzu. Wir lachten beide … unter allen diesen realen Leuten mit ihrem realen Leben.« Sie nippte an ihrem Glas Milch und stützte es dann auf ihren Schoß und die karierte Decke auf ihren Beinen. »›Und was ist mit dem Fräuleinchen in der Mitte‹, fragte ich. Elizabeth strich über das Haar des Mädchens, als könnte sie durch das Glas nach den Haarschleifen greifen … und sie sagte: ›Sie hat noch das ganze Leben vor sich‹. Selbst da merkte ich nicht, was sie vorhatte. Erst als wir vor dem Tor ihres Colleges standen, teilte sie mir ihren Entschluss mit … dass wir uns nie mehr wiedersehen dürften.« Schwester Dorothy seufzte. »Sie wollte einen Neuanfang. Die Geschichte, die wir erfunden hatten, sollte ihre werden, weil sie mit dieser Tragödie leben konnte. Sie würde das Leben dieses Mädchens annehmen und etwas Wunderbares daraus machen … das waren Elizabeth’ Worte … etwas Wunderbares.«
Mit ihrer Erlaubnis drehte Anselm sich eine Zigarette. Als er den Klebestreifen des Zigarettenpapiers mit der Zunge befeuchtete, fragte er: »Und was ist mit dem Mädchen, dessen Tragödie zu unerträglich war?«
Schwester Dorothy nickte verständnisvoll. Ihr war die Reichweite der Frage klar, die Pater Anselms Bitte enthielt, alles zu erfahren.
»Ich lernte sie kennen, kurz nachdem ich nach Camberwell kam.« Sie stockte, während Anselm ein Streichholz anzündete. »Damals war es ein Wohnheim für Mädchen, ein Haus der offenen Tür, wo keine Fragen gestellt wurden. Aber es lag abseits der Straße, und ich wollte die jungen Mädchen erreichen, die nie einen Blick in unsere Richtung werfen würden und vielleicht gar nicht wussten, dass es uns gab. Ich wollte die Welt verändern mit … barmherzigen Taten.« Sie sang die Worte mit erhobener Faust. »Also versuchten wir es anders. Ich setzte mich in ein Taxi – der Fahrer, Mr. Entwistle, war ein Freund des Ordens – und er setzte mich am Bahnhof Euston ab, damit ich die Augen offen halten konnte, wenn die Züge einfuhren … Wissen Sie, aus dem Norden kamen viele Jugendliche nach London, wo die Straßen mit Geld gepflastert waren und ein besseres Leben wartete … und wir hofften, sie so schnell wie möglich von der Straße zu holen.« Sie ließ die Faust sinken und trank ihre Milch. »Also, Mr. Entwistle kam dann nach einer halben Stunde zurück und brachte mich nach King’s Cross, dann in die Liverpool Street und so weiter, an alle Fernbahnhöfe. Ich lungerte herum und sammelte Mut, eine anzusprechen, von der ich glaubte, dass sie nicht wusste, wohin sie gehen konnte. Ich muss gestehen, damals richteten wir unseren Blick hauptsächlich auf Mädchen. Und trotzdem … Elizabeth’ Geschichte fängt mit einem Jungen an, den ich am Bahnhof Paddington traf.« Sie warf einen Seitenblick herüber und sagte vertraulich: »Drehen Sie mir auch eine?«
»Selbstverständlich.« Während Anselm die Zigarette drehte, trank Schwester Dorothy ihre Milch aus. Dann zündete sie sich mit der Grandezza einer Lauren Bacali die Zigarette an.
»Diesen Jungen in Männerhose sah ich einen Apfel von einem Obststand stehlen«, sagte Schwester Dorothy streng. »Ich rief ihn, und er kam, was seltsam war, vermute ich. Wir kamen ins Gespräch, und er erzählte, dass er gerade aus einer ausgebrannten Bank um die Ecke ausgezogen war, einem besetzten Haus, das ein harter Bursche leitete. Als Mr. Entwistle kam, brachte ich den Apfeldieb zu einem Hotelier, von dem ich wusste, dass er immer ein Bett frei hielt, und dann fuhr ich zurück nach Paddington und ging in eine Seitenstraße am Bahndamm.« Entschlossen, aber beherrscht blies sie langsam den Rauch in die Luft. »Ich stellte mich unter eine Straßenlaterne und beobachtete diese Gartenstatuen, die in Abständen auf dem Bürgersteig standen. Das ging mir damals durch den Kopf. Sie waren wie Zierfiguren, die kein Wasser mehr speien konnten, und an einem … schrecklichen Ort standen. Eine nach der anderen trieben sie die Straße
Weitere Kostenlose Bücher