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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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Ledersessel fühlte sich kalt an.
    »Diese Schleie war widerlich«, sagte Charles, ohne den Blick von der Vitrine abzuwenden. »Der Wein war dagegen himmlisch.«
    »Dad«, sagte Nick, »ich habe gerade Graham Riley getroffen.«
    Charles umklammerte mit beiden Händen die Vitrine. Seine Knöchel wurden weiß. Der prüfende Blick blieb jedoch unverändert. Er bereitet sich vor, dachte Nick, und wünschte sich seinen Vater stärker und größer als seine eigenen Enthüllungen.
    »Das war ungeheuer dumm«, sagte Charles leise.
    Ja, dachte Nick. Und jetzt weiß ich, was ich gar nicht wissen will. Es gehörte nicht in den Garten ihrer gemeinsamen Erinnerungen. Jedes Jahr waren sie in ihr Cottage gefahren, das mit Blick auf den Jack Sound und die Insel Skomer auf den Klippen von Saint Martin’s Haven stand. Als Junge war er seinem Vater in Sommernächten nach Einbruch der Dunkelheit gefolgt und hatte mit der Taschenlampe die Hüter der Insel angeleuchtet, eine Armee von Kröten. Grinsend und breitnackig hatten sie auf den Wegen gesessen. Einmal war seine Mutter mitgekommen. Sie hatten nach diesen trägen Kerlen Ausschau gehalten, waren aber ehrfürchtig auf einer Heide voller Glühwürmchen stehen geblieben.
    »Er sagte, Mum war nicht besser als er …« Nick bettelte um die Unschuld von Skomer, Barrier Riff, Weihnachten … von allem. Er wollte alles wieder an seinem Platz haben. Er wollte, dass sein Vater ihm etwas sagte, was alles wieder ins rechte Lot brachte.
    Charles schloss die Augen. Er sah aus wie ein Betender, erschreckend inbrünstig und doch stark. Nick hatte ihn immer als etwas vertrottelten alten Herrn mit erhobenen Augenbrauen in den Provinzmuseen der Schulferien erlebt, aber noch nie so. Das war eine völlig andere Stärke, allerdings nicht die Art, die er suchte oder brauchte.
    »Habe ich dir jemals erzählt, wie ich deine Mutter kennen gelernt habe?«, fragte Charles offenherzig.
    »Klar«, sagte Nick und hätte am liebsten geschrien. Charles’ Arbeitgeber hatte Elizabeth beauftragt, irrtümlich ausgezahltes Geld einzuklagen – das heißt, Charles hatte die Auszahlung eines Schecks bewilligt, obwohl der Aussteller ihn hatte sperren lassen. Elizabeth gewann den Prozess aufgrund von formalen Spitzfindigkeiten. Noch am selben Tag rief Charles in ihrer Kanzlei an, schickte ihr Blumen und tat alles, wofür er sich seiner Veranlagung nach für unfähig gehalten hatte. So viel Veränderung bewirkte es, sich selbst zu vergessen und einen anderen nicht vergessen zu können. Das war die überlieferte Moral.
    »Gut, ich will dir eine andere Version erzählen«, sagte Charles. Er winkte seinen Sohn herzlich heran – wie er es auf der Heide auf Skomer getan hatte.
    Nick trat an die Vitrine und betrachtete die aufgereihten und etikettierten Schmetterlinge. Plötzlich lag der Arm seines Vaters schwer auf seinen Schultern.
    »Siehst du den, da oben rechts?« Mit der freien Hand deutete Charles durch die Scheibe auf einen Schmetterling mit rötlich purpurschwarzen Flügeln und buttergelbem Rand. Reserviert, aber voller Leidenschaft sagte er: »Diese Dame wurde als White Petticoat oder Grand Surprise bekannt. Die Bezeichnungen deuten darauf hin, dass sie ungezogen ist … ein schamloses Frauenzimmer, eine Gaunerin. Sie hatte viele Namen. Sie sagen dir zwar etwas, erfassen sie aber nie ganz.«
    Er warf Nick einen Seitenblick zu wie früher in den verstaubten Museen. »Sie ist kein Stadtmensch. Sie liebt die Wälder … Weiden, Birken und Ulmen.«
    »Woher kommt sie?« Nick hörte seine eigene Stimme kaum, weil er glaubte, sein Vater sei völlig verrückt geworden.
    »Aus einem anderen Land, weit weg … sie ist eine seltene Vagabundin.« Er schaute sie sich näher an und zog Nick mit sich herunter. »Sie hat noch einen anderen Namen: Trauermantel. Aber als man sie in der Cool Arbour Lane erstmals entdeckte«, er sprach leise, als komme jetzt das Geheimnis, »hieß sie Camberwell Beauty.«
    Charles hielt seinen Sohn fest um die Schultern gepackt, schaute aber die ganze Zeit in die Vitrine mit ihrem phosphoreszierenden Licht. Sein Griff war fast grimmig. Es gab kein Entrinnen.
    »Deine Mutter war eine Grand Surprise«, gestand Charles. »Sie bewegte sich vorsichtig, als ob sie schon einmal ins Netz gegangen wäre … und immer daran denken müsste. Als ich sie im Gericht zum ersten Mal sah, musste ich ihr folgen. Es lag etwas in ihren Augen, in der Bewegung ihrer Arme. Also verfolgte ich ihren weiteren Weg. Nichts konnte

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