Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
führte Nick in eine Art Höhle aus Regalen und Aktenordnern. Die abgestandene Luft vermittelte den Eindruck, als ob man in eine gelbliche Lösung mit einem ganz entfernten Hauch Blau eingetaucht wäre. Auf einem großen Schreibtisch wachte ein gelber Plastiklufterfrischer über ein Durcheinander von Papierstapeln.
»Ich hielt es für das Beste, dass wir uns außerhalb der Bürostunden unterhalten.« Er nickte und zwinkerte gleichzeitig mit den Augen. »Kann allerdings nicht viel sagen. Schweigepflicht.« Er ließ sich auf den Schreibtischstuhl fallen und sagte: »War eine erstklassige Beerdigung, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Schöner Empfang. Nettes Haus. Schön zu sehen, dass die Mandanten eingeladen waren. Aber es tut mir wirklich leid. Scheußliche Sache, wenn Sie mich fragen.«
»Ihre Mandanten?«, fragte Nick.
»Einige. Einer von ihnen hat das Schinkensandwich gegessen.« Er hörte sich an, als wolle er bei einem Richter Empörung provozieren.
Nick sagte: »Sind Sie auf Strafrecht spezialisiert?«
»Eigentlich nicht«, überlegte er, kratzte sich am Ohr und lehnte sich zurück. »Ich habe mich auf den Schadensersatzmarkt verlegt. Und Familiensachen natürlich. Die habe ich schon immer gemacht. Sorgerecht, Scheidungen, Unterhalt. Auf dem Gebiet gibt’s immer viel zu tun.« Seine schmalen Augen schienen glasig zu werden. »Ich habe Ihrer Mutter mehr hoffnungslose Fälle geschickt, als ich zugeben mag. Aber sie hatte ein Händchen für Eltern, die sich von Fachleuten nicht beraten lassen wollten.« Er zwinkerte in das Zwielicht und musterte den Lufterfrischer. »Aber wieso wollen Sie etwas über den Riley-Fall wissen? Das ist lange her … am besten vergisst man die Sache, finde ich.« Er blinzelte fast.
»Vielleicht haben Sie Recht«, sagte Nick. »Aber ich habe unter den Sachen meiner Mutter Unterlagen gefunden. Sie hat sie fast zehn Jahre aufbewahrt. Ich habe mich gefragt, ob Sie mir vielleicht sagen können, warum.«
Mr. Wyecliffes Augen wurden groß wie Tintenkleckse auf Löschpapier. »Ich will mein Bestes tun.« Er nahm eine Kugel, die ein Blockhaus, zwei Nadelbäume und drei Rentiere vor einem Schlitten enthielt. Er schüttelte sie und löste einen Schneesturm vor kobaltblauem Himmel aus. Es war die einzige Bewegung im Raum. »War noch was bei der Prozessakte?«
»Wieso?«
»’tschuldigung. Dumme Frage. Deshalb halte ich mich aus dem Gerichtssaal fern.« Er betrachtete die sinkenden Schneeflocken. »Vielleicht sollte ich vor dem Prozess anfangen … Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich die eine oder andere Frage stelle?« Seine Augenbrauen schienen zu nicken.
»Nein, durchaus nicht.«
»Gut.« Er ging in einen Nebenraum, als sei ihm gerade etwas eingefallen. Eine Schranktür ging auf und wieder zu. Er kam mit einigen Umschlägen zurück und warf sie in einen Plastikkorb von der Größe einer Wäschewanne. »Mein Ausgangskorb«, erklärte er. »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja … Am besten fangen wir wohl an, als Ihre Mutter Kronanwältin wurde. Sie müssen wissen, ich hatte nicht oft mit Strafrecht zu tun, was ich weiß, habe ich also hier und da aufgeschnappt.« Nick sah ihn wieder beim Beerdigungsempfang vor sich, wie er die kalten Platten musterte und sich hier und da etwas wegschnappte. »Sie hatte sich als Anklagevertreterin einen Namen gemacht und war immer ausgebucht. Aber auch als Verteidigerin war sie gefragt: So was spricht sich herum. Kriminelle reden in der Untersuchungshaft miteinander. Sie spielen Bridge und diskutieren die Vorzüge der jeweiligen Anwälte. Sehen Sie, daher war es durchaus nicht überraschend, wenn ein Mandant zu mir kam und nach Ihrer Mutter verlangte. Aber bei Mr. Riley war es ein bisschen anders.«
»Wieso?«
»Er hatte noch nie Ärger mit der Polizei gehabt.«
Es war Abend geworden. Das spärliche Licht einer einzelnen Deckenlampe warf einen eingebeulten Schatten, der aussah wie der schiefe Hut eines Komikers.
»Sie meinen, Riley verlangte ausdrücklich nach meiner Mutter?«
»Ja.«
»Sagte er, warum er sie haben wollte?«
»Nicht direkt.«
»Haben Sie ihn gefragt?«
»Ja.«
Verärgerung ließ Nick lauter werden. »Und, was hat er gesagt?«
»Er hätte gehört, dass sie gut sei; so gut, dass sie gewinnen könnte, ohne auch nur den Mund aufzumachen.«
»Wer hatte das gesagt?«
»Das hat er nicht erzählt.«
»Haben Sie ihn gefragt, wie er von ihr erfahren hat?«
»Nein.« Mr. Wyecliffe hob die Hände, als biete er eine kalte
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