Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Gebrauch machen soll?‹«
»Ja. Und ich habe eingewilligt.« Der Prior schürzte die Lippen und dachte nach. »Was du wahrscheinlich nicht weißt, ist, dass sie mir Anweisungen gab, was geschehen soll, nachdem du das Schließfach geöffnet hast. Sie waren sehr präzise. Was mich betrifft, sollte ich abwarten, weil du sonst nicht verstehen würdest, was ich zu sagen hätte. Was dich betrifft, sagte sie: ›Zuerst soll Anselm eine Mrs. Bradshaw aufsuchen. Sie hat vor Jahren an uns beide geschrieben. Sie verdient eine Antwort.‹ Sagt dir das was?«
»Ich habe den Brief gerade erst gelesen.«
Während Anselm erzählte, was sie geschrieben hatte, ging der Prior an seinen Schreibtisch und öffnete eine Schublade.
»Dann sagte sie: ›Zweitens bitte ich Sie, ihm diesen Brief zu geben. Er soll ihn öffnen, nachdem er bei Mrs. Bradshaw war. Danach müsste alles klar werden.‹ Sie fügte hinzu: ›Eine Polizistin namens Inspector Cartwright wird Ihnen eines Tages ebenso dankbar sein wie ich.‹ Ich hätte dieses Drama beendet, wenn sie nicht so entschlossen und … gequält gewirkt hätte.«
Anselm nahm den Briefumschlag. Er trug seinen Namen in ihrer kleinen, gewissenhaften Handschrift. »Und dann kam sie mit einer Schachtel Pralinen zu mir, um die Vergangenheit heraufzubeschwören.«
Der Prior setzte sich seufzend und rieb sich den Hinterkopf – eine Geste, die wohl aus seinen jüngeren Jahren in Glasgow stammte. »Erzähl mir davon; ab der Zeit, als du sie kennen gelernt hast.«
Ab der Zeit, als du sie kennen gelernt hast. Wie Anselm schaute auch der Prior weiter zurück in die Vergangenheit, als es auf den ersten Blick nötig schien. So begann Anselm denn mit einem Gespräch an einem Freitagabend, lange vor dem Riley-Prozess, einem Gespräch über Eltern, Kinder und den Tod.
Es war schon spät, als Anselm fertig war. Larkwoods Eule – die zu hören, aber nie zu sehen war – hatte die Flucht ergriffen und schrie um den Kirchturm herum, wie immer verblüfft über die Unerschrockenheit des Wetterhahns.
»Ich nehme an, Sylvester hat allen erzählt, dass Inspector Cartwright hier war?«, fragte der Prior.
»Nicht so ganz, aber das Wesentliche hat sich herumgesprochen.«
»Sie glaubt, John Bradshaws Tod war ein Mord aus Rache, der mit dem Riley-Prozess zusammenhing, obwohl es sich nicht beweisen ließ. Wir waren uns einig, dass Elizabeth zu ähnlichen Schlüssen gekommen sein muss, weil das ohne Zweifel der Mord war, den sie erwähnt hat. Das war allerdings nicht das Einzige, worüber wir gesprochen haben. Elizabeth hat unmittelbar vor ihrem Tod bei Inspector Cartwright angerufen.«
»Wirklich? Was hat sie gesagt?«
»›Überlassen Sie es Anselm.‹«
Anselm runzelte die Stirn und wiederholte ungläubig Elizabeth’ letzte Worte: »Was zum Teufel soll das heißen?«
»Sie hatte keine Ahnung. Wahrscheinlich wirst du es erfahren, wenn du Mrs. Bradshaw aufgesucht und den Brief gelesen hast.« Der Prior stand auf und gab damit zu verstehen, dass das Gespräch beendet war. »Inspector Cartwright möchte, dass du sie zu gegebener Zeit anrufst.«
Der Schrei der Eule von Larkwood verklang, als sie westlich über Saint Leonard’s Field flog, und hinterließ eine lastende Stille, ein Gefühl, dass etwas Seltsames den Nachthimmel über dem Kloster bewohnte.
Anselm ging in seine Zelle und riss das Fenster auf. Die Nacht war schneidend kalt, gemildert von Apfelduft. Die Mönche hatten vor der Komplet Äpfel geschält, und die Schalen standen in Säcken neben der Küchentür.
Überlassen Sie es Anselm. War das klug, Elizabeth? Was habe ich gesagt, dass du mich ausgewählt hast? Oder war es etwas, was ich getan habe?
Anselm atmete tief ein und fragte sich, wieso er den Schlüssel wieder in seine Perückendose gelegt hatte. Nachsichtig wie er war, hatte der Prior nicht danach gefragt. Vielleicht lag es an dem Wort »Mörder« und der hoffnungslosen Suche nach einem Reim. Was immer der Grund sein mochte, Anselm war sicher, dass die Verzögerung die Sache erschweren würde. Elizabeth hatte zwar vieles vorausgesehen, aber Anselms Zögern hatte nicht dazugehört.
TEIL 2
DIE BÜCHSE DER PANDORA
1
DIE TÜR GING auf und Mr. Wyecliffes Gesicht tauchte aus einem warmen Dämmerlicht auf. Sein brauner Anzug ging scheinbar nahtlos in seinen Bart über und reichte über die Wangen bis knapp unter seine kleinen Augen. »Tut mir leid, die Glühbirne ist gerade durchgebrannt. Aber in meiner Ecke ist genug Licht.« Er
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