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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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einnehmen wollte.« Er wischte sich den Schaum aus dem Schnurrbart.
    »Mit der Masche der mütterlichen Vertrauten zog sie sie auf ihre Seite.«
    »Woher wissen Sie, dass es nicht echt war?«
    »Als Frau, als Mensch, hatte sie natürlich Mitgefühl mit dem Mädchen«, sagte Mr. Wyecliffe mit gespielter Ungeduld, »aber bei Anwälten werden solche Sachen zum Mittel, wie man einen Prozess anpackt. Sie konnte es für einen anderen Zweck nutzen – nämlich um dem Mandanten zu helfen.«
    Nick hatte sich nicht klar gemacht, dass seine Mutter zu solchen Manövern gezwungen war, wenn sie einen Prozess gewinnen wollte. Er blätterte die Seite um und las aufmerksam die Schilderung eines Wortwechsels, den Mr. Wyecliffe mit einem Sternchen markiert hatte: »Anji, Sie haben dem Gericht erzählt, Mr. Riley habe gesagt: ›Der, vor dem man Angst haben muss, ist der Pieman. Ich kassiere nur die Miete.‹ Wie sieht der Pieman aus?«
    »Ich hab ihn nie gesehen.«
    »Wissen Sie, wo er wohnt?«
    »Nee.«
    »Also, ist er in London oder weit weg?«
    »Er ist gleich um die Ecke und behält uns alle ständig im Auge.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Das hat Mr. Riley gesagt.«
    »Haben Sie seine Stimme schon mal gehört?«
    »Nee.«
    »Wieso haben Sie Angst vor jemandem, den Sie noch nie gesehen oder gehört haben?«
    »Wegen dem, was er mit uns macht, wenn er uns kriegt.«
    »Und was wäre das?«
    »Er sagt, wenn du schläfst und daliegst und den Kopf ganz still hältst, kommt der Pieman mit ’nem Schürhaken.«
    »Schürhaken?«
    »Ja, und dann schlägt er zu, nur einmal.«
    »Er ist hinter Ihnen her, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Sie sind im Moment in der Obhut des Sozialdienstes, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Dann sind Sie doch in Sicherheit, oder?«
    »Nee, weil er weiß, wie er dich finden kann, egal, wo du bist, und er kommt immer nachts, wenn du die Augen zugemacht hast. Es kann ja nicht immer einer auf dich aufpassen, wissen Sie. Er behält dich einfach nur im Auge und wartet, bis du die Augen zumachst, und wenn keiner guckt und es ganz dunkel ist, dann kommt er.«
    »Durch ein Fenster?«
    »Kann sein. Durch irgend’ne Öffnung. Der braucht keinen Schlüssel oder so was.«
    »Anji, nach allem, was Sie gesagt haben, hört es sich an, als sei der Pieman so etwas wie ein Alptraum. Stimmt das?«
    »Ja, aber den gibt’s wirklich.«
    »Danke, Anji. Sie haben uns sehr geholfen.«
    Nick schlug das Notizbuch zu und reichte es Mr. Wyecliffe. Die Arbeit seiner Mutter hatte für ihn immer etwas Vages behalten: Die Fakten waren meist interessant, aber alles war auf einer neutralen Ebene geblieben, wo sie jemanden »in einem Prozess mit schwieriger Beweislage vertreten« hatte. Die tatsächlichen Fragen und Antworten im Zusammenhang zu lesen, beseitigte die Distanz. Jeder Schritt war von einem Ziel bestimmt: zu gewinnen. Nichts war heilig, bis auf die Regeln des Wettkampfs. Selbst Mitgefühl war nur ein Mittel zum Zweck. »Wissen Sie, was aus George Bradshaw geworden ist«, fragte Nick.
    »Nein.«
    »Wissen Sie, was mit seinem Sohn passiert ist?«
    »Ja.«
    »Wie haben Sie davon erfahren?«
    »Die Sache stand in mehreren Zeitungen.«
    »Wer hat sie Ihnen gezeigt?«
    Mr. Wyecliffe beäugte sein Bier voller Bewunderung für die Frage. »Kann nicht viel sagen. Schweigepflicht«, erklärte er.
    Sie waren wieder am Anfang angekommen, als Nick in dem dämmrigen, stickigen Büro Platz genommen hatte.
     
    Auf dem Bürgersteig stieß Mr. Wyecliffe einen Pfiff über die Kälte aus. Sie wehte von Old Bailey durch die Newgate Street. Die Bürohäuser waren graue Kästen mit vereinzelten, matt erleuchteten Rechtecken. »Ich nehme an, Sie kennen Mr. Kemble?«
    »Ja.«
    »Eine Klasse für sich.«
    »Ja.« Nick dachte jedoch an seine Mutter und seinen Vater, die auf Skomer Händchen hielten. Das Meer war oft wild, und der Wind konnte einen durchschütteln. Das lag eine ganze Welt entfernt.
    »Haben Sie ihn in letzter Zeit mal gesehen?« Mr. Wyecliffes Atem verwandelte sich in Nebelwölkchen.
    »Bei der Beerdigung.«
    »Klar.« Er schniefte. »Da haben Sie bestimmt auch die triumphale Leistung Ihrer Mutter für Mr. Riley erwähnt.«
    »Nein.«
    »Ach.« Anscheinend hatte er diese Antwort erwartet. »Darf ich Ihnen eine komische Frage stellen?«
    »Ja.«
    Mr. Wyecliffes Kopf versank in seinem Kragen, bis er aussah, als habe er gar keinen Hals. »Hat Ihre Mutter nach dem Prozess den Pieman noch mal erwähnt?«
    »Nein.«
    »Dachte ich mir.«
    »Wieso

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