Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Tagen fand George keine Gelegenheit, ins Hinterzimmer zu schleichen, aber er traf sich zu den verabredeten Zeiten mit Elizabeth. Schließlich kam er jedoch mit zwei leinengebundenen Kladden an: Rileys war rot, Nancys blau. George hatte sie gefunden, als Nancy hinausgegangen war, um Milch zu holen.
Elizabeth saß auf den Resten einer Mauer und studierte die Kladden im Schein von Georges Taschenlampe. Offenbar prüfte sie einzelne Eintragungen in beiden Büchern.
»Irgendwas geht da vor«, knurrte sie verärgert und tippte mit einem Finger auf die Seite.
»Ist es jetzt vorbei? Kann ich aufhören, zu klauen?«
»Ich weiß es nicht«, fuhr sie ihn an. »Das sage ich dir morgen.«
Zu einer unchristlich frühen Zeit, als es noch dunkel war, kam Elizabeth wieder. Als er in dem leer stehenden Lagerhaus aufwachte, stand sie neben ihm.
»Das ist nur eine Hälfte der Geschichte.« Sie reichte ihm die Bücher. »Ich habe sie kopiert, aber ich brauche noch mehr. Es muss noch Quittungsbelege geben.« Sie sprach schnell aus dem Dunkel, und George war noch im Halbschlaf. »Du weißt schon, was für Hefte ich meine – kleine mit blauem Einband. Jede Seite ist in einer Ecke nummeriert. Es sind Durchschläge. Das Original hat der Käufer.«
George setzte sich auf und rieb sich die Augen. »Muss ich, ich meine …«
»Ja.« Ihre Stimme war laut. Sie verlor die Beherrschung, wenn auch nur ganz leicht; aber es reichte, ihn wieder nach Bow zu schicken. »Dieses Mal haust du nicht ab, David George Bradshaw.«
5
FAHLES MORGENLICHT UMRISS Roderick Kembles Konturen, der mit einem Revolver in der einen und einem Dokument in der anderen Hand an seinem Schreibtisch saß. Wild entschlossen untersuchte er die Rotation der Trommel, während er langsam den Abzug drückte. »Nehmen Sie Platz«, sagte er nach dem Klicken. Als habe es seit dem vorigen Abend keinerlei Unterbrechung gegeben, fügte er hinzu: »Riley behauptete, Bradshaw habe hinter den falschen Anschuldigungen gegen ihn gestanden?«
»Ja.«
»Wie hatten Sie vor, Bradshaw zu untergraben?«
»Frank Wyecliffes einzige Idee war, dass es merkwürdig sei, seinen zweiten Vornamen zu benutzen, obwohl der erste ein ganz gewöhnlicher Name war. Damals hielt ich ihn für verrückt – und Elizabeth ebenfalls.«
Anselm dachte zurück an den Rest des Gesprächs mit ihr. Sie waren im Aufenthaltsraum. Sie sagte: »Glaubst du, dass Riley unschuldig ist?«
»Nein.«
Sie nahm den letzten Jaffa-Keks und knabberte daran.
»Würdest du Bradshaw ins Kreuzverhör nehmen?«
»Natürlich.«
Normalerweise nimmt sich der Kronanwalt den Hauptzeugen vor, nicht ein Untergebener. Damals hatte Anselm der Aufforderung keine Bedeutung beigemessen.
Ein Hüsteln holte ihn zurück zu Roddy. Nun suchte er nach der Bedeutung von Worten, die vor langer Zeit gesagt wurden, und erzählte leise: »Elizabeth sagte: ›Das ist deine Chance, etwas Bedeutendes zu tun.‹«
Anselms Problem war, dass er Bradshaw ohne jede Rechtfertigung als Lügner bezeichnen musste – wenn auch in höflicher Form. Es gab keinerlei Indizien, dass er mit den Mädchen gemeinsame Sache gemacht hatte, um Riley wegen falscher Anschuldigungen vor Gericht zu bringen. Als Anselm aufstand, hatte er lediglich die Intuition, dass Wyecliffe Recht hatte: Es war tatsächlich ungewöhnlich, seinen zweiten Vornamen als Rufnamen zu benutzen.
Roddy hatte einmal im Scherz gesagt, Prozess entscheidende Kreuzverhöre ließen sich in drei Kategorien unterteilen: Erstens solche, bei denen der Anwalt in einem sauberen Streit über Fakten, die mehr als eine Interpretation zulassen, die Oberhand gewinnt. Zweitens solche, bei denen der Anwalt vernichtende Informationen in der Hand hat, die er nur zum richtigen Zeitpunkt auf den Tisch legen muss, um die Sache für sich zu entscheiden. Es gibt aber noch eine dritte Kategorie, bei der ein Anwalt nicht weiß, wovon er redet. Anselm zählte seine Begegnung mit Mr. Bradshaw zu dieser dritten Gruppe. Elizabeth mochte den Namenswechsel für unerheblich halten, aber nun war Anselm am Ruder. Er tastete sich zögernd vor und leitete aus jeder Antwort die nächste Frage ab. Meist hatte Bradshaw mit »Ja« geantwortet. Das Verhör verlief durchweg zivilisiert.
»Sie nennen sich George, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ihr erster Vorname ist aber David?«
»Ja.«
»Wie kommt es, dass Sie Ihren zweiten Vornamen als Rufnamen benutzen?«
»Der erste gefiel mir nicht.«
Die meisten Prozessanwälte entwickeln ein scharfes
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