Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Kornettspielen hatte eine kleine Vertiefung in seiner Oberlippe hinterlassen. Ein glänzendes, kantiges Gesicht und vortretende, schwarze Augenbrauen vervollständigten den Eindruck militärischer Würde. Seinen Vornamen kannte Riley nicht. Er war immer nur »der Major«.
Als dieser ruhige Soldat das Messer in Rileys Socken sah, hätte er ihn eigentlich hinauswerfen müssen. Aber er tat es nicht. Stattdessen holte er den Ausreißer in sein Büro, warf das Messer in den Papierkorb und sagte: »Du bist jetzt erwachsen.«
Riley grinste, wie Jungs es tun, wenn sie nervös sind.
»Du bist ein Mann.«
Rileys Augen wurden glasig, aber er grinste weiter.
»Und ein Mann sollte gut nachdenken«, erklärte der Major unbeirrt. Er verschränkte die Arme, zog die Augenbrauen zu einem Stirnrunzeln zusammen und musterte Riley lange abschätzend von oben bis unten, als wolle er seine Kleidergröße raten.
Am nächsten Tag rief der Major Riley wieder in sein Büro. Er lehnte mit gekreuzten Beinen an seinem Schreibtisch. Er hatte bei einem Kameraden der Heilsarmee, einem Manager bei McDougalls auf der Isle of Dogs, ein gutes Wort für ihn eingelegt.
»Da gibt’s einen Job, wenn du willst.«
»Was muss ich da machen?« Er starrte auf die glänzenden Schuhe des Majors. Selbst die Sohlen waren sauber.
»Kisten mit Mehl stapeln, das von selbst aufgeht.«
Riley hatte überall die Werbung gesehen. Sie taten, als ob es ein Wunder wäre, dabei war es nur eine Mischung von Chemikalien. Er sagte: »Nichts geht von selbst.«
Der Major kniff die Augen zusammen wie ein Spieler, der überlegte, ob die Bemerkung einen Hintersinn hätte. Unsicher sagte er: »Ja, das stimmt.«
Riley ging nie mehr zurück zur Heilsarmee. Er arbeitete schwer. Er ließ sich zum Kranführer ausbilden. Er sparte. Er kaufte einen Bungalow. Und er kaufte das Haus in der Quilling Road. Eigentlich hatte er vor, es zu vermieten und eine Geldanlage daraus zu machen, aber es ergab sich anders. Nein, das war nicht wahr. Es war eine Entscheidung; eine verzwickte, komplizierte, dunkle Folge von Impulsen und Handlungen, aber letzten Endes eine tiefgreifende Art von Entscheidung; etwas Kaltes, Mörderisches. Es war wie in einem seiner Wutanfälle. Es war, als sehe er sich selbst zu und empfinde nichts dabei.
Der Hafen starb, aber Riley überlebte. Nachdem er entlassen wurde, fand er noch in derselben Woche eine Stelle bei Harold Lawton, wo er Nancy kennen lernte. Die pummelige Nancy mit ihren hungrigen Augen. Zum ersten Mal sah er sie von hoch oben aus seinem Kran. Er hatte das Gefühl, sie ganz von Nahem so zu sehen, wie sie war. Sie ging schüchtern, als ob man ihr wehgetan hätte. Damals dachte er zum ersten Mal daran, das Haus in der Quilling Road zu verkaufen. Er überlegte ernsthaft, aufzuhören. Aber er tat es nicht. Einmal ging er in der Mittagspause mit der Absicht, sie einzuladen, in das Büro des Geschäftsführers … irgendetwas an ihr hatte ihn berührt, hatte ein Flämmchen in seinen Eingeweiden aufflackern lassen. Aber als er an jenem Tag den Mund aufmachte, bat er sie, seine Karte abzustempeln, während er unentschuldigt von der Arbeit fernblieb, um seine Miete zu kassieren. Dass er seine Absicht plötzlich änderte und Nancy täuschte, war ein Nervenkitzel, als hätte er einen Brand gelegt. (Riley konnte den Reiz eines brennenden Hauses durchaus nachempfinden.) Das war also eine weitere Entscheidung – sogar eine noch tiefgreifendere, aus einem erstarrten Teil in seinem Inneren. Anders als Nancy zu heiraten. Das passierte, als ob es unvermeidlich wäre. Ihr den Hof zu machen lief ab wie im Traum. Er machte alles so, wie er es in Filmen gesehen hatte: Aftershave, Brillantine im Haar, schicker Anzug – die ganze Palette. Er führte Nancy in ein großes Hotel, bestellte Tee mit allem Drum und Dran und bezahlte mit knisternden Geldscheinen, frisch von der Bank. Er gab ein dickes Trinkgeld. Er reichte Nancy den Arm. Am Strand von Brighton warf er seinen Filzhut in den Wind. Aber als sie nach der Hochzeit nach Hause gingen und sie morgens gleich beim Aufwachen und abends vor dem Einschlafen da war … machte es ihn krank. Er wusste nicht, was er tagtäglich machen sollte. Er durchstöberte seine Vergangenheit und suchte verzweifelt nach irgendetwas, woraus er lernen könnte, was er tun sollte. Aber da war nichts außer Abscheu und Ekel wie ein warmer Nebel. Und Tag und Nacht hatte er Nancy vor sich. Die pummelige Nancy mit ihren hungrigen Augen. Sie war ein
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