Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Er stand auf, was auch Anselm und Debbie aufspringen ließ. »Ich gehe an die South Bank, obwohl ich fürchte, dass es umsonst ist. Sollte ich ihn finden, kann ich ihn aber allenfalls bitten, herzukommen. Ohne seine ausdrückliche Erlaubnis würde ich seinen Aufenthaltsort nicht preisgeben.«
»Selbstverständlich«, sagte Anselm. Er hatte das seltsame Gefühl, wegen Verschwendung vor einem Richter zu stehen. In dem Wissen, dass seine Geste lächerlich, aber unumgänglich war, griff er in die Tasche seines Habits: »Dürfte ich bitte für Ihre Auslagen aufkommen?«
»Nein danke«, sagte Mr. Hillsden gnädig. »Ich verfüge über die entsprechenden Mittel, die ich Ihnen gern zur Verfügung stelle.« Er schaute auf seine Füße. Dann hob er abrupt den Kopf und musterte Anselm für den Bruchteil einer Sekunde mit seinen wässrig blauen Augen. »Ich habe gehört, Sie waren früher Prozessanwalt?«
»Ja.«
»Bei welcher Kammer?«
»Gray’s Inn.«
Mr. Hillsden schien den Klang förmlich einzusaugen. Eine gespenstische Ruhe veränderte seine Miene. »Fantastische Gestalten, wohin seid ihr entflohen?«
Er runzelte die Stirn, als versuche er sich zu erinnern, wie es weiterging. Anselm kannte das Zitat von Lamb, aber auch ihm fiel die Fortsetzung nicht ein. Plötzlich drehte Mr. Hillsden sich zu der Tür mit dem runden Fenster um. Ohne Zögern ging er, auf seinen Stock gestützt, hinaus in das laute Gemurmel und den blauen Dunst.
3
RILEY STAND IN einem unbewohnten Haus in Tottenham am Fuß der Treppe. Es war kalt und feucht, und sein Herz raste. Er starrte auf die unterste Stufe.
»Wer hat das Foto von Walter geschickt?«
Sein Blick wanderte zu dem angeschlagenen Treppengeländer und folgte den Geländerstäben bis in das Zwielicht eines unbeleuchteten Absatzes. Die Stille öffnete eine Tür zu schreienden Stimmen, scharrenden Füßen und irgendetwas, was zerschellt auf dem Boden landete. Als Junge betete er in der Abstellkammer zu Gott, dass es aufhören möge. Und seltsamerweise hörte es tatsächlich auf. Kurz danach wurde es still, und mit dem Kopf unter dem Kissen sagte er: »Danke, danke.«
Riley machte sich an die Arbeit, schleppte und schleifte. Er lud Tische und Stühle auf, Spiegel und Schränke, eine Lampe und vier Kerzenhalter. Seine Füße zerstampften die Kindheitserinnerungen, aber andere von der vergangenen Woche nagten an ihm. So war es immer. In seinem Kopf ging es ständig laut zu. Er spielte Streitgespräche durch, als ob er Lieblingsplatten abspielte, änderte nur zur Abwechslung die Wortwahl. Es war anstrengend, aber die Wut vermittelte ihm ein Gefühl von Lebendigkeit. In einem hitzigen Streit konnte er eine Art Barriere durchbrechen und sich treiben lassen, dass es ihm den Atem raubte; er dachte sich aus, was er sagen würde, und sprach es aus, als gelte es einem anderen. Das war weit von der Dankbarkeit eines Jungen in der Abstellkammer entfernt.
Er arbeitete fieberhaft. Staubwolken ließen ihn husten und ausspucken. Am späten Nachmittag war er fertig. Das Haus war ausgeräumt. Keuchend stand er im Wohnzimmer. Schweiß legte sich wie eine Hand in seinen Nacken: Wer hatte das Foto von Walter geschickt?
Er hatte das Bild nicht mehr angeschaut, seit es aus dem Umschlag gefallen war. Aber noch immer sah er den Mann vor sich, den er nicht Dad nennen wollte, den Mann, den niemand herumkommandierte, den größten Mann in der Straße. Walter hatte Hanteln unter dem Bett und machte Liegestütze. Er boxte schnaufend und pfeifend in die Luft – er war Rechtsausleger. Er roch nach Liniment. Riley sah ihn nur abends, weil er schon um vier Uhr früh aufstand, um im Lager zu arbeiten. Nachdem seine Stelle gestrichen wurde, musste er an einem Straßenkarren Pasteten verkaufen. Er hieß nur der Pieman. Und es gab auf der ganzen Erde kein Bild mehr von ihm außer dem, das auf den Küchentisch gefallen war. Riley begriff das nicht. Er hatte sämtliche Fotos von ihm vor über vierzig Jahren verbrannt. Schweiß kroch ihm über den Rücken. Wer konnte das Foto geschickt haben? Ihm fiel niemand ein. Alle waren tot.
Riley saß an die Mauer gelehnt da und hatte die Hände auf die Knie gelegt. Rattenköttel waren auf der Fußleiste verstreut wie winzige schwarze Samenkörner. Die Feuchtigkeit und die Stille fielen über ihn her.
Major Reynolds im Wohnheim der Heilsarmee trug immer eine adrett gebügelte Uniform. Er hatte einen Schnauzer wie ein Kampfflieger in der Schlacht um England, und jahrelanges
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