Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
seinem eigenen Zuhause ab.
Aber er musste natürlich wieder herauskommen. Sie lebten unter einem Dach. Tagsüber war er brüsk und barsch und fletschte die Zähne, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Sein Kinn schob sich vor, er riss die Augen auf und starrte zur Seite, als wage er nicht einen anzusehen aus Angst, was er dann tun könnte. Abends machte er höhnische Bemerkungen über das Fernsehen: über Politiker, Soaps, Nachrichten und Bischöfe. Er verzog die Unterlippe und kratzte mit seinen abgekauten Fingernägeln, die an den Nylonbezügen hängen blieben, auf den Sessellehnen. Angewidert schob er ein Walt-Disney-Video in den Apparat. Sofort hellte seine Miene sich auf. Er weinte mit Bambi oder schüttelte die Faust über die Königin in Schneewittchen. Alle seine Gefühle knisterten und gingen auf wie Popcorn. Aber sobald der Film vorbei war, wirkte er bedrückt, als hätte er nie enden dürfen. (Nancy mochte das Wort »unausgeglichen« nicht, aber sie hatte den Eindruck, dass ihr Mann sich zusammenriss, ein bisschen wie ein Fass mit Eisenreifen, und wenn auch nur einer oder zwei dieser Reifen sich lockern sollten, würde er einfach explodieren. Sie hatte daher gelernt, sich zurückzuhalten. Sie bastelte nicht an ihm herum.) Nachts rührte er sie nicht an. In ihrem Bett gab es eine kalte Zone, genau in der Mitte. Sie war wie die Schneise, die Charlton Heston als Moses im Meer aufgetan hatte. Sie beide waren Wasserwände, die unter dem Gewicht der Trennung zusammenzubrechen drohten. Aber das passierte nie. Nicht mal, nachdem diese Polizistin am Kai aufgetaucht war und ihren Mann am Fuß seines Krans verhaftet hatte. Damals schaute Nancy zu, wie er weggebracht wurde, und wartete darauf, dass die Eisenreifen brachen, aber sie taten es nicht.
»Es passt alles zusammen«, wiederholte Nancy feierlich. »Ich bin nicht blöd.«
Plötzlich erstarrte Arnold in seinem Laufrad. Sein Hals pochte, als ob sein Herz in der Kehle säße.
»Du denkst zuviel nach«, sagte Riley ruhig.
Nancy schrie auf. Unmittelbar hinter ihr, eine Armeslänge entfernt, stand ihr Mann. Er trug seinen Armeeparka und hatte die Kapuze aufgesetzt. Der hochgeschlagene Kragen verdeckte fast seinen Mund. Er hatte ihn von einem alten Soldaten, der sich aufgehängt hatte.
»Du hast mich erschreckt«, lachte Nancy. Ihr Puls fand seinen Rhythmus wieder, und ruhig sagte sie: »Möchtest du Frühstück?«
»Nein.« Sein Ton war peitschend, seine Augen ausgehungert. »Ich habe eine Entrümpelung.«
»Wo’«
»Tottenham.«
Die Hintertür knallte zu, als hätten sie sich gestritten. Nancy stand am Fenster und schaute ihrem Mann nach, als sei er auf einem anderen Planeten. Von der Themse war dichter Nebel aufgestiegen, der die Straßen von Poplar in Nichts auflöste. Straßenlaternen hingen wie Untertassen im Dunst, und Riley tauchte langsam im Nebel unter. Als er verschwunden war, drehte Nancy sich zu Arnold um. Seine Beinchen fingen an sich zu bewegen, und das Laufrad sirrte und schnurrte.
»Wie ist er bloß so geworden?«, fragte sie bekümmert.
2
WIE VEREINBART, WAR Anselm um sieben Uhr morgens im Vault nahe Euston Station. Zu beiden Seiten der Tagesstätte waren hohe Gebäude von Gerüsten und Bauzäunen umgeben. Der Wind ließ Plastikfolie flattern und Seilwinden klirren. Eine Menschenschlange schob sich mit der Seelenruhe von Auswanderern in die Neue Welt zu einem Tor vor. Anselm bog hinter ihr in eine schmale Gasse mit Kopfsteinpflaster und fand die Klingel an der Hintertür unter einem Namensschild.
»Wie geht’s Onkel Cyril?«, fragte Debbie Lynwood und öffnete die Tür zu ihrem Büro am Ende eines spärlich beleuchteten Korridors.
»Erbost und verärgert«, antwortete Anselm. »Ich habe eine Quittung weggeworfen.«
»Sie Ungeheuer.«
Anselm hatte genetischen Determinismus erwartet (Korpulenz in Overall), aber Debbie war zierlich. Sie trug eine schwarze Hose und einen scharlachroten Rollkragenpulli. Ein ganzes Sortiment emaillierter Sticker zeugte von Interesse an alten Motorrädern.
»Viel kann ich nicht versprechen«, sagte sie mit den Händen in den Hosentaschen. »Jemanden auf der Straße zu finden ist so gut wie unmöglich. Aber ich kenne einen Mann, der Ihnen vielleicht weiterhelfen kann -jemanden, der sich auskennt.«
Sie ging zu einer Tür, die in die eigentliche Tagesstätte führte. In der Mitte war ein rundes Fenster. Auf der anderen Seite sah Anselm blauen Dunst von Zigarettenrauch. Dunkle Gestalten gingen langsam
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