Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
vorbei, als wateten sie durch Wasser.
»Als ich erzählte, was ich von Ihnen wusste, brannte er drauf, Sie kennen zu lernen«, sagte Debbie nachdenklich. »Warten Sie hier.«
Als sie die Tür öffnete, drang ein geschäftiges Gemurmel herein. Während Anselm wartete, schaute er sich um: eine Wand mit Aktenordnern, Informationsplakate, ein alter Schultisch, ein abgenutzter blauer Teppich … und ein kleiner, drahtiger Mann mit einem Stab, der aussah wie eine Vorhangstange mit verziertem Knauf. Er trug ein grünes Regencape, seine Hosenbeine waren in die Socken gestopft und auf dem Rücken trug er einen Rucksack. Seine Füße steckten in geputzten, aufgeplatzten Halbschuhen und standen schräg nach außen. Ein dünner, grau melierter Bart bedeckte sein längliches Kinn.
»Darf ich Ihnen Mr. Francis Hillsden vorstellen«, sagte Debbie.
Der Wanderer neigte kurz den Kopf zum Gruß und schüttelte Anselm die Hand. »Es ist mir ein Vergnügen, mit Verlaub«, sagte er, hielt aber den Blick abgewandt. Seine Augen waren blau und schienen wehzutun.
Während sie sich ihre Stühle zu einem Dreieck heranrückten, forderte Debbie Anselm auf, zu sprechen. Mr. Hillsden setzte sich auf die Stuhlkante und packte seinen Stab, als sei er eine Stange, die in den Raum darunter führte.
»Ich suche einen Mann um die sechzig«, erklärte Anselm.
»Er heißt David George Bradshaw. Soviel ich weiß, wird er der blinde George genannt.«
»Von wem? Wenn ich mit allem Respekt fragen dürfte?«
Er hatte einen leichten Akzent, eine kultivierte Stimme aus dem West Country. »Ich hoffe, meine Zwischenfrage stört Sie nicht?«
»Durchaus nicht«, antwortete Anselm. Wie ein schwaches Licht flackerte ein Gefühl von Déjà-vu auf. »So nennen ihn andere Obdachlose.«
Mr. Hillsden nickte kurz, als habe er die Antwort notiert.
»Mr. Bradshaw sieht schlecht?«
»Nein. Aber er trägt eine Schweißerbrille. Warum weiß ich nicht.«
»Um sein Gesicht zu verbergen?« Der Vorschlag richtete sich an eines der Poster an der gegenüberliegenden Wand.
»Kann sein … Er ist ein Einzelgänger, soviel ich gehört habe.« Anselm fühlte sich unbehaglich, als verberge er die Rolle, die er beim Niedergang dieses Mannes gespielt hatte. »Bis vor kurzem hielt Mr. Bradshaw sich unter einer Feuertreppe am Trespass Place auf. Er wartete dort auf eine Kollegin von mir, die leider gestorben ist. Als ich hinging, um ihn in ihrem Namen zu treffen, war er fort. Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn – dahingehend, dass ich an ihrer Stelle fortsetzen werde, was sie gemeinsam begonnen haben.«
»Zunächst einmal möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen.« Mr. Hillsdens Augenlider zuckten, als reize ihn ein Sandkorn. »Aber zweitens, mit Verlaub, wenn dieser Herr sich aus der Gesellschaft anderer Menschen zurückgezogen hat, wie kann man dann Fragen nach seinem Aufenthaltsort stellen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Eine gute Antwort, wenn ich so sagen darf. Wo ist Trespass Place?«
Anselm erklärte es ihm und fügte hinzu, dass Mr. Bradshaw zwar nicht blind sei, aber sein Gedächtnis gelitten habe und er sich den Überblick über die Zeit anhand von Notizheften bewahre – ein Detail, das in gewisser Weise charakteristisch für den Mann sei, den er suche.
»Eine kluge Angewohnheit«, stellte Mr. Hillsden fest. Abrupt wurde er streng und schaute sich verstohlen um, als habe er Widerspruch gehört. Zwei Mal stieß er mit dem Stab auf den Boden, und sein Ernst verflog. Mit zuckenden Lidern sagte er: »Ich möchte mich ja nicht einmischen, aber sind Sie Mr. Bradshaw schon einmal begegnet?«
»Ja.«
»Oft?«
»Einmal.«
»Würde er sich an Sie erinnern?«
Die Harmlosigkeit der Frage traf Anselm mehr als ihre Hartnäckigkeit. Er wurde rot: Mr. Hillsden ging bei ihm genauso vor wie Anselm damals bei Mr. Bradshaw. Dabei wusste keiner von ihnen, was er eigentlich tat. »Ich hoffe nicht«, sagte Anselm ernst und wagte nicht, aufzuschauen. Er heftete den Blick auf die glänzenden Halbschuhe und die Socken über den Hosenbeinen.
Niemand sagte etwas. Mr. Hillsden überlegte offenbar. Schließlich erklärte er: »Meine Kollegen auf der Straße haben gewöhnlich einen Stammplatz. Die meisten von uns gehen nie weit davon weg. Tun sie es doch, hat es in der Regel einen ernsten Grund, fürchte ich. Wenn wir unseren Stammplatz verlassen, gehen wir nicht in einen anderen Teil Londons, sondern in eine andere Ecke von England. Das ist zumindest meine Erfahrung.«
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