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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Albrecht
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Erinnerung kommen.

    Wolfram Wenz operiert mal die Kinder von Scheichs und russischen Multimillionären, mal Mädchen aus mittellosen Familien in Rumänien. Auf seinem Gebiet gilt er als eine der europaweit führenden Kapazitäten, doch sein Verhältnis zur Industrie, die immer neue Endoprothesen, Schienen, Platten und Schrauben auf den Markt wirft, ist nicht das beste. Denn er sieht sich als Purist, greift so selten wie möglich zu Ersatzteilen, wenn er seinen Patienten neue Füße baut.
    Auf seinen Vorträgen spricht er gerne von »altem Wein in neuen Schläuchen«, wenn er darlegt, dass eine gepriesene Innovation in Wirklichkeit schon 100 Jahre zuvor von einem deutschen Chirurgen entwickelt wurde. Überhaupt hält er gerne das Deutsche in der Medizin hoch: »Fast alle Operationsmethoden, die ich anwende, wurden schon entwickelt, bevor ich auf die Welt kam, zu einer Zeit, als Deutschland in der Medizin weltweit führend war«, pflegt er zu sagen. Aber wer werfe denn heute schon einen Blick in uralte Lehrbücher so wie er, als er mit einigen Kollegen das Standardwerk »Der Klumpfuß« schrieb.
    Die Chirurgen blickten oft zu sehr nach vorne, anstatt sich auf die raffinierten Techniken zu besinnen, die ihre Ahnen schon im 19. Jahrhundert entwickelt hätten. Wenz’ Pioniertat war es, diese Methoden wieder ausgegraben zu haben.
    Die Klumpfußchirurgie hatte Wenz schon als junger Assistent für sich entdeckt – nicht als seine heilige Mission, Behinderten zu helfen, sondern als ein von der Chirurgie sträflich vernachlässigtes Spezialgebiet, in dem er sich rasch profilieren und Karriere machen könnte. Im Jahr 2000 operierte er seinen ersten Patienten mit Charcot-Marie-Tooth-Syndrom, einen zwölfjährigen Jungen, der danach wieder rennen und Fußball spielen konnte, noch heute zeigt er gerne das Beweisvideo. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda fanden immer mehr Betroffene zu ihm, oft Menschen, die Jahrzehnte mit ihren Klumpfüßen verbracht hatten und danach überrascht fragten: »Warum hat mir früher niemand erzählt, dass es diese Operation gibt?« Orthopäden anderer Krankenhäuser, denen er auf Kongressen von seinen Erfolgen erzählte, schickten ihm alle Patienten nach Heidelberg, die ihnen zu kompliziert erschienen.
    Als Wenz im Jahr 2009 Thorsten kennenlernte, war er in der schwierigen Lebensphase der über 40-jährigen Männer, die alles erreicht zu haben scheinen. Privat war er seit 23 Jahren verheiratet, hatte zwei Kinder, ein Haus gebaut und fragte sich, ob das schon alles gewesen sei. Er spürte die Blicke der Frauen, in den vergangenen Jahren hatte er viele Gelegenheiten ausgelassen. Manchmal zog er mit Kollegen nach der Arbeit von einer Bar in die andere, trank, flirtete. Er rauchte mehr als eine Schachtel am Tag, wollte aufhören, hatte aber Angst, dick zu werden.
    Beruflich hatte er viel erreicht und suchte nach dem nächsten Schritt. An eine Privatklinik, um als Chefarzt mehr Geld zu verdienen? Manchmal liebäugelte er mit dem Gedanken, doch ihn schreckte die Perspektive, dann vielleicht nur noch fordernden Stöckelschuhpatientinnen ihren Hallux valgus wegzuoperieren, die sich danach möglicherweise auch noch über das ästhetisch unzufriedenstellende Ergebnis beschwerten. Hingegen faszinierte es ihn, diese verformten, verbogenen Füße neu zusammenzubauen. Sein Elixier war die Dankbarkeit der Menschen, die sich ihr Leben lang gequält hatten und in deren Leben er mit nur drei Stunden Anstrengung so viel bewegen konnte. Jeder dieser Füße war anders, jedes Mal bedurfte es seiner Improvisation. Er brauchte diese Herausforderungen. Da kam ihm der Kongress gerade recht, den er vorzubereiten hatte und auf den er die Elite der Fußchirurgen aus aller Welt geladen hatte. Er würde eine wirklich schwere Operation wagen – vor ihrer aller Augen.
2. Heidelberg Deformity Day
Internationaler Kongress für die Korrektur komplexer Fuß-Deformitäten (Programmauszug)

Samstag, 19. September 2009
9:15 am – 10:00 am Offene Podiumsdiskussion mit Live-Patienten (Neuropathie)
10:00 am Kaffeepause, Besuch der Industrieausstellung
10:30 am Live Operation CMT cavovarus/ clubfoot
    Als der Anruf kam, saß Thorsten in einer Kabine des Hurtigruten-Postschiffs, auf dem Weg vom Nordkap nach Bergen. Der Termin in Heidelberg war gerade zwei Wochen her. Er hatte viel nachgedacht über sein Gespräch mit Wenz. Vor dem Fenster zogen die steil aus dem Meer aufragenden Bergsilhouetten der Lofoteninseln vorbei. Es war Dr. Wenz:

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