Patient Null
ich zu und verabreichte ihm dann wieder eine gehörige Dosis Schweigen. Er reagierte völlig anders als Ollie. Skip war jünger und aufgedrehter. Seine Hände und Augen standen nie still. Er war so angespannt,
dass es schwierig war, ihn einzuschätzen. Bisher war er immer derjenige im Team gewesen, der sich am wenigsten wie ein Krieger gegeben hatte. Allerdings hatte er sich in beiden Einsätzen bei den Kämpfen gegen die Wiedergänger als schnell und effizient erwiesen.
Graces Bericht zufolge hatte ihn das Alpha-Team in einem beinahe wahnsinnigen Zustand gefunden. Es schien mir fast so, als ob sich sein Zustand nicht wesentlich verbessert hatte. Wenn man es genau betrachtete, hatte er allein gegen die Monster gekämpft. Es war also nicht verwunderlich, dass es ihm jetzt schlechtging. Ich erinnerte mich nur mit Grauen an meine eigene Reaktion, nachdem ich es mit Javad aufgenommen hatte.
Skip hatte uns genau wie Ollie erzählt, dass er von hinten überrascht worden sei. Ich musterte sein Gesicht. Keiner wusste, wer der Verräter war oder ob er sich in meinem Team befand. Konnten es Skip Tyler oder Ollie Brown sein? Von den beiden war Skip der unwahrscheinlichere Kandidat für mich. Ich wusste eigentlich nicht genau, warum. Vielleicht weil er einen unschuldigen Eindruck machte. Aber ich war im Grunde viel zu müde, um meiner eigenen Urteilskraft zu trauen.
»Unser Forensiker hat herausgefunden, wie es passiert ist«, sagte ich nach einer Weile.
Skip blickte neugierig auf. »Und? Wie ist es passiert? Eine Geheimtür oder so etwas?«
»Genau, eine Geheimtür«, bestätigte ich.
»So ein Mist.«
Ich nickte. Skip starrte auf den Tisch vor sich. Als er den Kopf wieder hob, hatte er Tränen in den Augen.
»Es tut mir leid, Sir.«
Ich wartete.
»Ich hätte es vorher sehen müssen.«
»Sie können von Glück reden, dass Sie noch am Leben sind.«
Er wandte den Kopf zur Seite und holte tief Luft. »Sir … Nach den beiden Aktionen gestern und heute, nach allem, was ich getan habe …«
»Was haben Sie getan?«
»Ich … Ich habe auf Frauen geschossen. Auf Kinder. Und auf ältere Damen. Ich habe so viele Menschen auf dem Gewissen«, flüsterte er. Sein Mund zitterte, und er legte den Kopf in die Hände. Dann fing er zu weinen an.
Ich lehnte mich zurück und beobachtete ihn. Seine Trauer zeigte sich an seiner ganzen Körperhaltung.
Was Rudy wohl von dieser Geschichte hielt? Das DMS hatte überall Kameras versteckt. Die meisten waren so klein, dass man sie nicht erkennen konnte. Rudy befand sich im nächsten Wagen und sah uns beide auf seinem Monitor zu.
76
Crisfield, Maryland Mittwoch, 1. Juli / 13:18 Uhr
Nachdem ich mit Skip fertig war, klingelte mein Handy. Es war Grace.
»Joe!«, keuchte sie. »Es geht um Aldin … Schnell!«
Ich stürzte aus dem Wohnwagen und sprintete über den Parkplatz in Richtung des Vans, in dem Church unseren Gefangenen verhörte. Als ich die Tür aufriss, sah ich Aldin auf dem Boden liegen. Dr. Hu und zwei Krankenschwestern waren über ihn gebeugt. Der Iraner zuckte heftig, als ob er unter starken Krämpfen litt. Alle Anwesenden trugen Atemschutzmasken und Gummihandschuhe. Ich schnappte mir ein Set vom Tisch und zog es über.
»Wir verlieren ihn«, rief Hu verzweifelt.
»Was ist los?«, wollte ich wissen und kniete mich neben Grace, die Aldins Beine festhielt.
»Die Kontrollkrankheit. Sie fängt an … Er stirbt.«
Ich warf Church einen Blick zu. »Ich dachte, Sie hätten das Gegenmittel.«
»Das hatten wir auch«, erwiderte er. »Aber es funktioniert nicht.«
»Es handelt sich wohl um eine andere Krankheit«, erklärte Hu, während er mit einigen Fläschchen hantierte. »Diese hier ist viel aggressiver. Vielleicht ein anderer Stamm, ich weiß es nicht.«
Ich legte meine Hände auf Aldins Brust, um ihn zumindest ruhigzustellen. Ich war in keiner guten Laune. »So ein Schwachsinn, Doc! Zwei verschiedene Kontrollkrankheiten? Bullshit!«
Als ob Aldin mir widersprechen wollte, fing er jetzt erst richtig zu zappeln an. Jeder Muskel in seinem Körper schien sich aufzubäumen. Es war so unerwartet und kraftvoll, dass er sich beinahe losriss.
»Meine … meine …«, brachte Aldin hinter seinen zusammengebissenen Zähnen mühsam hervor.
»Mund freimachen!«, rief ich.
Hu zögerte und sah Church fragend an. Dieser nickte und meinte: »Soll der Captain seinen Befehl erst wiederholen, Doktor?«
Widerstrebend entfernte Hu den Luftschlauch. Aldin hustete und würgte. »Meine
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