Patria
Sprachgelehrte und Dichter angesehenere Stellen finden, und Physiker, Mathematiker oder Astronomen nirgends eine bessere Ausstattung. Die Architektur des Gebäudes war definitiv hellenistisch und erinnerte an die eines beeindruckend eleganten Tempels.
Was für ein großartiger Ort, dachte Hermann.
Und was für eine großartige Zeit.
Nur zwei Mal in der Geschichte der Menschheit war das Wissen weltweit sprunghaft angestiegen. Einmal im Zeitraum von der Renaissance bis zum heutigen Tag, und das andere Mal im vierten Jahrhundert v. Chr. als Griechenland die Welt beherrschte.
Hermann dachte an die Zeit um dreihundert vor Christus und den plötzlichen Tod Alexanders des Großen nach. Dessen Generäle hatten um sein Weltreich gekämpft, und schließlich wurde das Reich in drei Teile geteilt, und das hellenistische Zeitalter, eine Periode weltweiter griechischer Vorherrschaft, begann. Einer der drei Reichsteile wurde von Ptolemäus beansprucht, einem weitdenkenden Mazedonier, der sich 304 v. Chr. zum König der Ägypter erklärte und die ptolemäische Dynastie begründete, deren Sitz Alexandria war.
Die Ptolemäer waren Intellektuelle. Ptolemäus I. war Historiker, Ptolemäus II. Zoologe, Ptolemäus III. ein Förderer der Literatur. Ptolemäus IV. schrieb selber Stücke. Jeder von ihnen wählte bedeutende Gelehrte und Wissenschaftler als Lehrer für seine Kinder und ermutigte wichtige Geistesgrößen dazu, in Alexandria zu leben.
Ptolemäus I. gründete das Museum, einen Ort, an dem Gelehrte sich versammeln und ihr Wissen miteinander teilen konnten. Um sie darin zu unterstützen, gründete er außerdem die Bibliothek. 246 v. Chr. zur Zeit Ptolemäus’ III. gab es zwei Standorte – die Hauptbibliothek befand sich in der Nähe des Königspalastes, und eine zweite, kleinere lag im Heiligtum des Gottes Serapis und war als Serapeum bekannt.
Die Ptolemäer waren fleißige Büchersammler und schickten Buchkäufer in alle Teile der damals bekannten Welt. Ptolemäus erwarb die komplette Bibliothek des Aristoteles. Ptolemäus ordnete an, dass alle Schiffe im Hafen von Alexandria durchsucht wurden. Fand man Bücher, wurden diese kopiert; die Abschriften wurden dem Besitzer übergeben, und die Originale der Bibliothek einverleibt. Es gab poetische Werke und Fachbücher über Politik, Geschichte, Rhetorik, Philosophie, Medizin, die Naturwissenschaften und das Recht. Schließlich waren im Serapeum 43000 Schriftrollen für die Öffentlichkeit zugänglich und im Museum weitere 500000 für die Gelehrten.
Was war mit all diesen Büchern geschehen?
Einigen Quellen zufolge waren sie verbrannt, als Julius Cäsar Ptolemäus XIII. im Jahr 48 v. Chr. besiegte. Cäsar hatte das Verbrennen der königlichen Flotte befohlen, doch das Feuer breitete sich in der ganzen Stadt aus und zerstörte vielleicht auch die Bibliothek. Andere Quellen gaben den Christen die Schuld, die angeblich 272 nach Christus die Hauptbibliothek und 391 nach Christus das Serapeum zerstört haben sollen, da sie alle heidnischen Einflüsse aus der Stadt tilgen wollten. Eine andere These legte die Zerstörung der Bibliothek den Arabern zur Last, die angeblich nach der Eroberung Alexandrias 642 n. Chr. die Bäder Alexandrias sechs Monate lang mit ihren Schriftrollen beheizt hatten, denn der Kalif Omar soll auf die Frage nach Büchern im Reichsschatz geantwortet haben: Wenn das Geschriebene mit dem Buch Gottes übereinstimmt, ist es überflüssig, wenn es nicht damit übereinstimmt, unerwünscht. Vernichtet sie.
Hermann krümmte sich innerlich immer bei der Vorstellung, dass einer der großartigsten Versuche der Menschheit, Wissen zusammenzutragen, derart gescheitert sein sollte und all das Wissen verbrannt war.
Aber was war wirklich geschehen?
Als Ägypten zunehmend mit Volksaufständen und Angriffen von außen konfrontiert war, fiel die Bibliothek mit Sicherheit Säuberungen zum Opfer, wurde vom Mob gestürmt oder von Soldaten besetzt und genoss keine Privilegien mehr.
Und wann war sie dann schließlich endgültig verschwunden?
Das wusste niemand.
Ob wahr war, was man damals erzählt hatte? Angeblich soll es einer Gruppe von Büchernarren gelungen sein, sämtliche Schriftrollen zu kopieren oder zu stehlen und so das Wissen methodisch zu bewahren.
Seit Jahrhunderten hatten Geschichtsschreiber immer wieder Andeutungen über die Existenz dieser Werke gemacht.
Das waren die Hüter gewesen.
Hermann stellte sich gerne vor, was diese leidenschaftlichen
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