Patria
der erste Hüter einen großen Teil der Bibliothek von Alexandria vor der Zerstörung. Das war eine enorme Leistung. Und manchmal, wenn wir auf Menschen wie Sie stießen, die davon profitieren konnten, haben wir eine Einladung ausgesprochen.«
Zahllose Fragen schossen ihm durch den Kopf, doch er stellte nur eine einzige: »Der Hüter, den ich damals erschossen habe, sagte, wir würden einen unnötigen Kampf führen. Es gäbe Dinge, die mächtiger seien als Kugeln. Was hat er damit gemeint?«
»Das weiß ich nicht. Ihr Vater hat ja nun offensichtlich versagt und ist nicht in der Bibliothek erschienen, und so hat er nie von unserem Wissen profitiert – und wir nicht von seinem.«
»Was meinen Sie mit, er hat ›versagt‹ ?«
»Um das Recht zur Benutzung der Bibliothek zu erwerben, muss man eine Aufgabe lösen.« Der Mann holte einen Umschlag hervor. »Wenn es Ihnen gelingt, diese Worte weise zu deuten, werde ich Sie am Eingang empfangen, und dann wird es mir eine Ehre sein, Sie in die Bibliothek einzulassen.«
Er nahm das Päckchen entgegen. »Ich bin ein alter Mann. Wie soll ich da eine weite Reise machen?«
»Sie werden die Kraft dazu finden.«
»Aber warum sollte ich all das auf mich nehmen?«
»Weil Sie in der Bibliothek Antworten finden werden.«
»Dann beging ich den Fehler«, berichtete Haddad, »den palästinensischen Behörden von dem Besuch zu erzählen. Jedenfalls konnte ich die Reise nicht machen, genau wie ich es vorausgesagt hatte. Als ich von dem Ereignis berichtete, glaubte ich, mit Freunden in der West Bank zu sprechen. Aber die israelischen Spione hörten alles mit, und das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass du und ich in diesem Café waren, als die Bombe hochging.«
Malone erinnerte sich gut an jenen Tag. Es war einer der gefährlichsten Tage seines Lebens gewesen, und es war ihm nur mit knapper Not gelungen, sich und Haddad zu retten.
»Wieso wart ihr dort?«, fragte Pam mit belegter Stimme.
»George und ich kannten uns damals schon seit Jahren. Wir beide interessieren uns für Bücher und insbesondere für die Bibel. Dieser Mann hier«, Malone zeigte auf Haddad, »ist ein weltbekannter Bibelexperte. Ich habe es genossen, seinen Gedankengängen folgen zu dürfen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du dich dafür interessierst«, bemerkte Pam.
»Anscheinend gab es eine Menge, was wir beide nicht übereinander wussten.« Er spürte, dass sie seine Anspielung verstand, beließ es dabei und fuhr fort: »George spürte, dass es Ärger geben würde, und weil er den Palästinensern nicht traute, bat er um meine Hilfe. Stephanie schickte mich hin, um herauszufinden, was da los war. Nach dem Sprengstoffanschlag wollte George dann nur noch da raus. Er galt als tot, ein Opfer der Explosion. Also verschaffte ich ihm die Möglichkeit unterzutauchen.«
»Und sein Code-Name war Alexandria-Connection«, meinte Pam.
»Jemand muss herausgefunden haben, dass ich noch lebe«, erklärte Haddad.
Malone nickte. »Jemand hat sich Zugang zu streng geheimen Computerdateien verschafft. Dort steht allerdings nicht, wo du lebst, sondern nur, dass ich der Einzige bin, der deinen Aufenthaltsort kennt. Und deswegen haben sie sich Gary geschnappt.«
»Das tut mir aufrichtig leid. Ich wollte deinen Sohn niemals in Gefahr bringen.«
»Dann sag mir, warum es Leute gibt, die deinen Tod wollen, George?«
»Damals, als der Hüter mich besuchte, arbeitete ich an einer Theorie über das Alte Testament. Davor hatte ich schon einiges zum damaligen Stand der wissenschaftlichen Forschung publiziert, aber nun arbeitete ich an etwas Neuem.«
Die Falten um Haddads Augenwinkel vertieften sich, und Malone konnte sehen, wie sein Freund mit sich kämpfte.
»Die Christen konzentrieren sich meistens auf das Neue Testament«, fuhr Haddad fort. »Die Juden befassen sich mit dem Alten. Ich wage zu behaupten, dass die meisten Christen wenig über das Alte Testament wissen und einfach nur davon ausgehen, dass das Neue Testament die Prophezeiungen des Alten erfüllt. Aber das Alte Testament ist wichtig, und es gibt zahlreiche innere Widersprüche in ihm, die seine ganze Botschaft in Frage stellen könnten.«
Malone hatte Haddad schon öfter über dieses Thema sprechen hören, aber diesmal nahm er eine neue Dringlichkeit in den Worten seines Freundes wahr.
»Beispiele gibt es genug. In der Genesis werden zwei widersprüchliche Schöpfungsgeschichten erzählt. Für Adams Nachfahren gibt es zwei unterschiedliche Ahnenfolgen.
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