Patria
hatte ihn nicht überrascht, dass es sich ausnahmslos um Gebiete im Nahen Osten handelte. Er wunderte sich auch nicht über das Thema der verstreut herumliegenden Bücher und Unterlagen.
Sie drehten sich alle um die Bibliothek von Alexandria.
Seit einer Stunde studierte er das Material im schwachen Licht seiner Kulileuchte. Er fragte sich, was Haddad geschehen sein mochte. Der Mann, den Cotton Malone auf der Straße verfolgt hatte, war mit Sicherheit ein Israeli gewesen. Jonah hatte ihm in Rothenburg klargemacht, dass ein Killerkommando auf dem Weg nach London war. Ob Malone ihnen in die Quere gekommen war? Hatten sie ihren Auftrag erledigen können, oder war Haddad geflohen und hatte sich versteckt? Er wusste es nicht, da seine Mitarbeiterin sich klugerweise an Malone gehängt hatte.
Obwohl es ihm gelungen war, Haddads Wohnung aufzuspüren, verspürte er keinerlei Triumphgefühl. Doch er hoffte, dass seine Mitarbeiterin ihre Aufgabe ebenso gut erledigt hatte.
Den Computer hatte er sich bis zum Schluss aufgehoben. Nun schaltete er ihn ein und konzentrierte sich auf den Bildschirm.
So unordentlich Haddads Wohnung auch war, in seinem Computer war alles tipptopp abgelegt worden.
Sabre öffnete ein paar Dateien und überflog ihren Inhalt.
Haddad hatte sich intensiv mit seinen Forschungen über die Bibliothek von Alexandria beschäftigt, aber interessanterweise hatte er auch über die Hüter recherchiert. Alfred Hermann hatte Sabre von ihnen berichtet, und Jonah hatte dann noch einige Wissenslücken bei ihm geschlossen. Doch eine von Haddads Dateien enthielt noch mehr Informationen:
… ihre Ursprünge liegen im Dunkeln, dank der Verrücktheit der Menschen, die sich damals – allerdings nicht ungestraft – am Wissen der Menschheit vergingen.
Im zweiten Jahrhundert hatte die Menschheit die Kunst des Kriegs und der Folter zur Vollendung gebracht. Zwar waren in vielen Teilen der Welt Reiche entstanden, die für Gesetze und eine gewisse Sicherheit sorgten, doch beides konnte das jeweilige Volk nicht vor seinem eigenen Herrscher beschützen. Es entstanden neue Religionen, deren Priester willige Verbündete der Despoten wurden. Auch in Ägypten wurde die Religion zum Zerrbild ihrer selbst, doch irgendwann im Lauf des zweiten Jahrhunderts bildete sich in Ägypten ein religiöser Orden, der sich nicht der Macht, sondern der Bewahrung des Wissens verschrieben hatte.
Damals entstanden Vorläufer der Orden, in welchen Männer mit gleichen Zielen zusammenlebten. Die primitiven Klöster wurden immer an sehr abgelegenen Orten gegründet, zu denen normalerweise niemand kam. Der neue ägyptische Orden hatte Glück, denn ihre Mitglieder stellten die Schreiber und Aufsichtspersonen der Bibliotheken von Alexandria. Durch ihre Tätigkeiten hatten sie Zugriff auf die ganze Bibliothek, und während die Menschheit gedieh und immer besser lernte, wie man sich gegenseitig vernichtete, zog diese Gruppe sich in die innere Emigration zurück.
Zunächst kopierten die Ordensmitglieder nur Texte, aber später stahlen sie auch welche. Die Größe der Bibliothek (sie enthielt mehrere hunderttausend Manuskripte) zwang sie zu dieser Maßnahme, und im Lauf der drei Jahrhunderte, während deren die Bibliothek die Gunst der Herrschenden immer mehr verlor, wurde der Diebstahl einfacher, da es auch keine genauen Bestandslisten gab. Im siebten Jahrhundert, als die Muslime Alexandria eroberten, hatten die Hüter sich schon einen großen Teil der Bibliothek angeeignet. Damals tauchten sie unter, und seither tauchen sie nur noch bei den seltenen Gelegenheiten wieder auf, wenn sie jemanden einladen, in ihre Bibliothek zu kommen und deren Werke zu studieren.
Sabre las weiter und fragte sich, wie es George Haddad gelungen war, an derart konkrete Informationen zu kommen. Dieser Palästinenser steckte wirklich voller Überraschungen.
Plötzlich nahm Sabre aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr. In der Dunkelheit regte sich etwas. Eine dunkle Gestalt schlich heran.
Sabre hob seine Hände von der Tastatur. Leider hatte er keine Waffe bei sich. Zum Kampf bereit, fuhr er blitzschnell herum.
Im Licht seines Computerbildschirms war jetzt eine Frau zu erkennen.
Seine Mitarbeiterin.
»So eine Dummheit kann schlimme Folgen haben«, tadelte er sie.
»Ach, sparen Sie sich Ihre Sprüche! Ich bin nicht gut drauf.«
Er engagierte sie regelmäßig, wenn er Unterstützung in Großbritannien brauchte. Sie war zierlich und hatte feine Gesichtszüge. Heute
Weitere Kostenlose Bücher