Patricia - Der Kuss des Vampirs
Haut leckte.
»Meine Hand ist bestimmt schmutzig«, wisperte sie.
»Sie ist köstlich«, murmelte er.
Pat versuchte, ihm ihre Hand zu entreißen. »Was tun Sie denn da?!« Churtham hielt sie eisern fest, der Druck seiner Lippen verstärkte sich und plötzlich vermeinte sie ein leises Saugen zu spüren.
»Nicht!«
Er hielt inne. Seine Augen öffneten sich und Pat erschrak vor dem Leuchten darin. Das waren keine menschlichen Augen mehr. Wären sie grün und nicht von diesem strahlenden, schönen Blau gewesen, hätte Pat vermeint, wahrhaftig in die eines Wolfs zu blicken. Das war schon öfters der Fall gewesen, aber nun jagte es ihr Furcht ein.
»Nicht...«, wiederholte sie, diesmal bittend. »Ich... ich habe Angst vor Ihnen...«
Etwas in Churthams Ausdruck veränderte sich. Das Leuchten in seinen Augen verschwand und an der Stelle dieses menschlichen Wolfes blickte sie wieder Maximilian Churtham, Earl of Barlem, an. Er schien wie aus einer Trance zu erwachen, sah von ihr auf ihre Hand, die er immer noch umklammert hielt. Er ließ sie los als hätte er sich verbrannt und trat hastig einige Schritte zurück. Als er den ängstlichen Ausdruck in ihren Augen sah, senkte er den Blick.
»Verzeihen Sie bitte«, murmelte er, »das... wollte ich nicht. Ich wollte Sie nicht erschrecken oder ängstigen. Ich wollte nur...« Er unterbrach sich und atmete tief durch. »Ich weiß selbst nicht, was ich wollte. Verzeihen Sie bitte.« Damit wandte er sich um und rannte aus dem Zimmer, die Tür dabei hinter sich zuschlagend.
Pat sah ihm nicht nach, sie starrte auf ihre Hand. Die Wunde hatte nicht nur aufgehört zu bluten. Sie war fort, völlig verschwunden. Und der Finger sah aus, als wäre er niemals verletzt gewesen. Sie grübelte einige Minuten verständnislos darüber nach, dann blickte sie zum Fenster. Der ganze Raum spiegelte sich darin. Sie sah sich selbst dort stehen, wo sie auch gestanden hatte, als Churtham noch nahe bei ihr gewesen war. Sie sah die Kerzenleuchter, den Tisch, die Bücher, die darauf aufgestapelt waren. Und wieder fiel ihr ein, dass etwas darin gefehlt hatte.
Maximilian Churtham.
Sie hatte sich nicht getäuscht gehabt, als ihr zuvor vor Schreck das Glas entglitten war. Maximilian Churtham war nicht im Spiegelbild erschienen.
Pat raffte sich, nachdem ihr die entsetzliche Bedeutung dieses Umstandes klar geworden war, auf und lief zur Bücherwand, um dort hastig nach Büchern über Vampire und andere Monster zu suchen. Zum Glück verfügte die Bibliothek über eine erstaunlich umfangreiche Sammlung zu diesem Thema. Sie presste den kleinen Stoß an ihre Brust, während sie ohne sich umzusehen hinauf in ihr Zimmer lief, immer mit dem schrecklichen Verdacht, Churtham könnte aus einer dunklen Ecke stürzen und ihr an die Gurgel springen. Sie hatten also wohl doch alle Recht gehabt, obwohl sie es nicht hatte glauben wollen: Maximilian Churtham war ein Vampir. Jedes Kind wusste schließlich, dass Vampire sich nicht spiegelten.
Sie entzündete alle Kerzen und setzte sich an den zierlichen kleinen Schreibtisch, den Sessel dabei so rückend, dass sie sowohl die versperrte Tür als auch das fest verschlossene Fenster im Auge behalten konnte. Wie sie früher einmal gelesen hatte, konnten Vampire sich in alle möglichen Tiere verwandeln und die Vorstellung, Churtham als Fledermaus in ihr Zimmer geflattert zu sehen, brachte sie halb um ihre Vernunft. Kein Wunder, dass er dieses Untier, das sich kürzlich in ihrem Haar verfangen hatte, so freundlich behandelt hatte.
Das erste Buch, das sie aufschlug, um ihr Wissen über Vampire auf theoretischem Wege zu vertiefen, bevor sie in der Gestalt von Churtham wieder mit der Realität konfrontiert wurde, verursachte, dass eine gewisse Übelkeit in ihr hochstieg. Diese Schrift stammte von einem gewissen Diakonus Michael Ranft, war bereits vor über hundert Jahren in Deutschland erschienen und offenbar auch sehr schnell ins Englische übersetzt worden. Das bedeutsame Werk trug den sprechenden Titel » Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern .« Pat las eine Weile schaudernd darin, wandte sich dann jedoch mit größerem Interesse einer anderen, später entstandenen und plausibleren Arbeit zu.
Die Lektüre erwies sich insgesamt als äußerst aufschlussreich. Zum Beispiel sahen Vampire nicht nur äußerst gut aus, was ihnen bei der Annäherung an ihr armes Opfer offensichtliche Vorteile brachte, sondern waren auch ausschweifend, wollüstig, herzlos, grausam
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