Patricia - Der Kuss des Vampirs
Anwesenheit, dass er sogar zornig werden könnte, wenn sie verschwand. Waren ihm die anderen Opfer etwa bereits ausgegangen? Stand er im Begriff zu verhungern?
Aber wie auch immer, soweit war alles gut gegangen, auch wenn es verrückt war, jetzt loszuziehen. Sie musste etwa drei Meilen zurücklegen, bis sie nach Barlem Village kam. Drei Meilen lang unheimliches Moor, Fledermäuse und dichter Wald. Und dabei noch immer die Angst, von einem hungrigen Vampir verfolgt zu werden. Sie hastete los. Im Hof brannten Fackeln, sie hielt sich dicht an der Wand, dann war sie auch schon außerhalb der kleinen Mauer, die das Hauptgebäude vom Park trennte. Etwas Nasses lief ihr die Wangen hinunter und trübte gleichzeitig ihren Blick. Sie schniefte auf und wischte sich energisch über die Augen.
Sie lief den Weg neben dem Fluss entlang bis der Wald heller wurde und das Moor begann. Die Tasche wurde immer schwerer, obwohl sie schon alle paar Meter von einer Hand in die andere wechselte. Endlich blieb sie stehen und stellte sie auf den Boden, um nach Luft zu schnappen. Sie hatte einige Dinge im Schloss gelassen, die sie nicht unbedingt benötigte, um nicht zu schwer zu tragen, aber dennoch bemerkte sie das Gewicht immer mehr und mehr. Aber es nutzte nichts, sie musste weiter.
Sie seufzte, wollte die Tasche soeben wieder aufnehmen, als ein Schrei über das Moor erklang. Nein, nicht nur einfach ein Schrei, sondern ein Aufheulen, Anschwellen, Gurgeln, Keuchen, das die Finsternis erfasste und von allen Seiten auf sie zuzukommen schien.
Danach herrschte Stille.
Pat war sekundenlang wie gelähmt gewesen, dann hatte sie die Tasche fallen lassen und sich ins nächste Gebüsch verkrochen. Dort hockte sie nun, mit gesträubten Körperhärchen und an allen Gliedern zitternd. Das war ein menschlicher Schrei gewesen. Der Schrei eines Menschen in Todesnot. Zuvor hatten noch einige Frösche in einem Tümpel gequakt, einige Grillen gezirpt, aber nun herrschte Totenstille über dem Moor. Sie zitterte so, dass ihre Zähne aufeinander schlugen. Kein Mensch schrie so, wenn er nur stolperte und hinfiel oder Fledermäuse im Haar hatte oder … eines natürlichen Todes starb.
Hier war jemand ermordet worden. Grauenhaft ermordet worden.
Sie lauschte dem Schrei in ihrem Inneren nach. Eine Frau war das gewesen, ganz eindeutig. Und der Schrei war von überall gekommen, vielleicht auch aus der Richtung in die sie musste, wenn sie ins Dorf wollte.
Sie hatte jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder sie versuchte wieder heil zurück zum Schloss zu gelangen, wo sie Gefahr lief, einem hungrigen Vampir in die Arme zu laufen, oder sie blieb hier im Gebüsch sitzen, wartete darauf, bis die Sonne wieder aufging und riskierte damit, von dem unbekannten Mörder aufgespürt zu werden. Vielleicht war es aber gar kein Mensch gewesen, sondern wilde Tiere? In diesem Fall war es wohl keine gute Idee, hier sitzen zu bleiben, denn diese würden sie in jedem Fall hier finden. Pat verfluchte ihre Idee, jemals hierher gekommen zu sein, als sie mit vor Angst eiskalten Händen und Füßen vorsichtig wieder aus dem Gebüsch kroch, nach allen Seiten in die vom zunehmenden Mond erhellte Dunkelheit blickte und dann hastig weiterlief, dem Dorf zu. Wenn sie es schaffte durchzukommen, dann war sie dort in Sicherheit. Ihre Tasche ließ sie einfach liegen. Geld und Ausweispapiere trug sie ohnehin in einem Stoffbeutel um den Hals. Sie fasste in ihre Rocktasche und fühlte die beruhigende Kälte eines Metalls. Der Knauf der modernen kleinen Handfeuerwaffe, die sie schon von daheim mitgebracht hatte, fühlte sich gut in ihrer Hand an.
Sie war jedoch kaum hundert Schritte gelaufen, als sie wie angewurzelt stehen blieb und auf die grausige Szene starrte, die sich einige Meter vor ihr abspielte.
Ein weißer Körper lag reglos am Boden.
Es war eine Frau.
Sie war nackt.
Und mit ziemlicher Sicherheit war sie tot.
Ein Mann kniete daneben, in einen dunklen, weiten Mantel gehüllt. Sein Haar war schwarz, fiel bis auf seine Schultern und in sein Gesicht, als er sich vorbeugte.
Maximilian Churtham.
Er sah sie fast zur gleichen Zeit und sprang auf. Pat griff in die Manteltasche und zog den Revolver hervor, während sie sich gehetzt umsah. Es gab nichts, wo sie hinlaufen und sich hätte verstecken können, die dürftigen Gebüsche boten wenig Schutz und außerdem hätte Churtham sie wohl ohnehin schnell eingeholt.
»Sie?! Was zum Teufel machen Sie hier?!«
Pat hob den Revolver, als Churtham
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