Patterson James
Müttern geboren.«
I
ch glaube, wenn in diesem Moment ein Zweig gebrochen
wäre, wären wir alle drei Meter hoch in die Luft gesprungen.
»Und seit gestern sitzt du da drauf?«, fragte Iggy empört.
»Was ist los mit dir? Bloß weil du die Jüngste bist, brauchst du
nicht die Blödeste zu sein.«
»He, Leute, Ruhe!«, sagte ich. »Lasst doch Angel reden.« Ich
strich ihr die Locken aus der Stirn. »Kannst du uns erzählen,
was du gehört hast?«
»Ich habe nur Teile aufgeschnappt«, meinte sie verlegen. »Tut
mir leid. Ich habe mich so schlecht gefühlt … und alles macht
mich auch traurig. Ehrlich, sehr traurig. Ich will aber nicht
heulen. Ach, jetzt weine ich schon wieder.«
»Schon gut, Angel«, meinte Fang besänftigend. »Wir
verstehen das. Jetzt bist du in Sicherheit hier bei uns.«
Nudge sah aus, als würde sie gleich explodieren. Ich schickte
ihr den Gedanken: Okay, warte noch! Der Gasman schob sich
näher an mich heran. Ich legte einen Arm um ihn, den anderen
um Angel.
»Es hat so geklungen«, begann Angel stockend, »als würden
wir aus verschiedenen Krankenhäusern kommen. Aber sie haben
uns geholt, nachdem wir geboren waren. Wir waren keine
Reagenzglasbabys.«
»Wie haben sie uns gekriegt?«, fragte Fang. »Und wie haben
sie uns die Vogelgene eingesetzt?«
»Ich hab das nicht so ganz verstanden«, sagte Angel. »Es
klang so – als ob sie die Gene in uns gepflanzt haben, ehe wir
geboren wurden.«
Sie rieb sich die Stirn. »Mit einem Test? Einer Amino …
Ammo …«
»Amniozentese?«, fragte ich. Mir lief kalte Wut über den
Rücken.
»Ja, genau, das war es«, sagte Angel. »Und irgendwie haben
sie damit die Vogelgene ins uns reingebracht.«
»Schon gut, red weiter«, ermunterte ich sie. Ich würde es dem
Schwarm später erklären.
»Also, wir wurden geboren, und die Ärzte haben uns der
Schule gegeben«, fuhr Angel fort. »Ich habe gehört, dass sie
Nudges Mom und Dad erzählt haben, dass ihr Kind gestorben
ist. Aber das stimmte nicht.«
Nudge machte ein gurgelndes Geräusch. Ihre großen braunen
Augen waren voll Tränen. »Dann habe ich echt eine Mom und
einen Dad gehabt«, flüsterte sie. »Die habe ich wirklich gehabt.«
»Und Iggys Mom …«
Ich sah, wie Iggy sich verspannte. Er konzentrierte sein
überfeines Gehör ganz auf Angels leise Stimme.
»Gestorben«, sagte Angel. »Sie ist gestorben, als er geboren
wurde.«
Es war schrecklich, das Entsetzen und die Trauer auf Iggys
Gesicht zu sehen. Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen
sollte. Ich wollte ihm – und allen – die Schmerzen vertreiben.
»Was ist mit uns?«, fragte der Gasman. »Wie haben sie uns
gekriegt, wir sind doch zwei Jahre auseinander?«
Angel wischte sich die Augen. »Unsere Eltern haben uns selber der Schule gegeben«, sagte sie und fing wieder an zu
weinen. Ihre schmalen Schultern bebten.
Dem Gasman fiel der Unterkiefer runter. Seine Augen waren
so rund wie Autoräder. »Waaaas?«
»Sie wollten der Schule helfen! « , stieß Angel schluchzend
hervor. »Sie haben es zugelassen, dass sie die Vogelgene in uns
pflanzen. Und sie haben dafür Geld gekriegt.«
Mir brach es fast das Herz. Der Gasman bemühte sich, tapfer
zu sein, aber er war nur ein kleiner Junge. Er lehnte sich an mich
und vergrub sein Gesicht in meinem Hemd. Dann brach er in
Tränen aus.
»Hast du auch was über mich gehört? Oder über Max?« Fang
riss Borke von einem Ast. Er sprach ganz ruhig, aber seine
Schultern waren verspannt und sein Gesicht eine Maske.
»Deine Mom hat gedacht, du wärst gestorben – wie Nudge«,
antwortete Angel. »Sie war ein Teenager. Wer dein Dad war,
wissen sie nicht. Aber sie haben deiner Mom gesagt, dass du
gestorben bist.«
Der Ast, den Fang gehalten hatte, zerbrach. Seine Knöchel
waren ganz weiß. Ich sah die Schmerzen in seinen dunklen
Augen. Schmerzen und Trauer und die Reflexion unseres
Feuers.
Ich räusperte mich. »Was ist mit mir?« Ich hatte immer davon
geträumt, eine Mom zu haben. Ich hatte sogar – das ist so
megapeinlich, dass ich nie zugeben werde, dass ich es gesagt
habe – gehofft, dass sie eines Tages auftauchen würde und so
wunderbar wäre, dass sie Jeb heiratete. Und dann für uns alle
sorgte. Ich weiß. Das ist krank, nicht wahr?
Angel schaute mich an. »Über dich habe ich gar nichts gehört,
Max. Nichts. Tut mir leid.«
72
I
ch fasse es nicht«, erklärte der Gasman zum dreißigsten Mal.
»Sie haben uns weggegeben. Diese Schweine sind doch
abartig. Krank.
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