Patterson James
Sie sah den Fall mittlerweile als
Chance, etwas Anständiges zu tun, etwas Gutes. Bisher hatte sie
nicht viel unternommen, um Menschen zu helfen. Hatte weder
beim Militär noch im Friedenskorps gedient. Nur selten ehrenamtlich in der Gemeinde gearbeitet. Eigentlich hatte sie nur
Jarrod – das war’s. Und im Lauf der Woche war ihr all das
bewusst geworden.
»Es stimmt. Das hatte ich gedacht«, meinte Andie. »Aber wie
dem auch sei, ich bin heute Morgen hergekommen, um meine
Pflicht zu tun.«
Die Richterin unterbrach ihren Schreibfluss und blickte leicht
überrascht über das, was sie gehört hatte, zu Andie auf.
»Sie glauben, Sie können für die Arbeit des Gerichts einen
positiven Beitrag leisten, Ms. DeGrasse? Ohne Schwierigkeiten
zu machen?«
Andie nickte. »Ja, wenn Sie mich wieder reingehen lassen,
glaube ich, dass ich das kann.«
Gott, Andie, du hättest nur dein Maul halten müssen, und
schon wärst du draußen.
Richterin Seiderman legte den Kugelschreiber zur Seite und
blickte Andie lange und abschätzend an. »Okay, warum nicht?
Es ist Ihr Recht, Ihre Pflicht zu tun.« Die Richterin rief ihre
Gerichtsdienerin. »Ms. Moran, würden Sie bitte die Geschworene Nummer elf zurück ins Geschworenenzimmer bringen?«
»Danke, Euer Ehren.« Andie lächelte.
Auf dem Weg zurück zum Gerichtssaal hielt Sharon Ann ihr
die Tür auf. »Ich bin wirklich überrascht, dass Sie noch dabei
sind.«
»Ja.« Andie schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann sind wir
schon zu zweit.«
12
»Am Morgen des 6. August 1993 wurde Samuel Greenblatt, ein
glücklich verheirateter, zweiundsechzigjähriger Bauunternehmer, vor seinem Haus in Union in New Jersey brutal ermordet«,
begann Joel Goldenberger und deutete auf ein vergrößertes Foto
auf einer Staffelei. Es zeigte einen lächelnden Mann mit
angehender Glatze auf der Party zu seinem sechzigsten Geburtstag, neben ihm seine Frau. Die Geschworenen blickten auf
das Gesicht. »Ein Wagen fuhr vor, als Greenblatt an jenem
Morgen das Haus verließ, um ins Büro zu gehen. Zwei Männer
mit Mützen und Sonnenbrillen sprangen heraus und schossen
mehrmals auf ihn, als er auf die Straße trat. Das Opfer sah seine
Mörder an und murmelte: ›Warum?‹. Dann rief er laut ›Frannie‹,
den Namen seiner siebenunddreißigjährigen Frau. Um sicherzugehen, dass sie ihre Arbeit wirklich erledigt hatten, beugte sich
einer der beiden über den sterbenden Mr. Greenblatt und jagte
ihm in aller Seelenruhe zwei weitere Kugeln in den Kopf.
Nachdem die Schützen weggefahren waren, fand
Mr. Greenblatts jüngster Sohn, ein leitender Mitarbeiter bei
Rutgers, die Leiche. Meine Damen und Herren Geschworenen,
Sie werden während dieses Prozesses viel über Samuel
Greenblatt hören.«
Einer von Goldenbergers Assistenten reichte anschauliche
Polizeifotos der blutigen Leiche weiter. Eine oder zwei Frauen
auf der Geschworenenbank wanden sich und schüttelten die
Köpfe. »Nun, niemand behauptet, dass Samuel Greenblatt ein
Engel war. Tatsache ist, er hatte dem Guarino-Klan bei mehreren Bauaufträgen geholfen, die Gewerkschaft zu beeinflussen.
Er hatte dem Klan über die Local 407, eine Baugewerkschaft,
die vom Klan kontrolliert wurde, Scheinverträge besorgt.
Doch die Staatsanwaltschaft geht davon aus«, fuhr der Staatsanwalt fort, während er sein Blatt umklammerte, »was übrigens
immer wieder durch die Aussagen mehrerer Schlüsselzeugen
bestätigt wird, dass der Angeklagte, Dominic Cavello, den
direkten Befehl zu Mr. Greenblatts Hinrichtung gab. Und dass
die Mörder durch Mr. Cavello ausgewählt und bezahlt wurden –
mit Geld und einer Beförderung innerhalb der Organisation, zu
der sie alle gehörten. Und was war das Motiv für den Mord?
Warum musste Mr. Greenblatt eliminiert werden? Weil
Mr. Cavello und seine Freunde glaubten, sie wären Gegenstand
einer polizeilichen Ermittlung, eine Annahme, die sich als falsch
erwies. Sie hatten schlicht geglaubt, Mr. Greenblatt könnte
ihnen schaden.«
Der Staatsanwalt trat zur Seite und stützte sich auf die Balustrade vor der Geschworenenbank. »Doch damit war der Mord
noch nicht erledigt. Anders als im Kino verlaufen Bandenmorde
nicht immer nach Plan. Sie werden erfahren, dass dieser Mord
eine Reihe weiterer Morde nach sich zog, drei, um genau zu
sein. Alle wurden von Mr. Cavello mit dem Ziel in Auftrag
gegeben, den ersten zu decken.
Sie werden von der Beeinflussung von Gewerkschaften und
von Betrug im Baugewerbe hören. Von
Weitere Kostenlose Bücher