Patterson James
stürmten in die Zelle. Einer von ihnen hielt meine
Arme fest, während sich der andere zwischen mich und Cavello
zwängte. Mühsam kam er wieder auf die Beine und hielt
schwankend eine Hand seitlich am Bauch.
»Jetzt schau dich an.« Cavello begann zu lachen. »Du glaubst,
du würdest mich kriegen? Du bist derjenige, der fertig ist. Du
bist derjenige, der für den Rest seines Lebens jeden Tag das Bild
des Jungen sehen wird. Ich werde heute Nacht wie ein Baby
schlafen.«
Trevor und der Wachmann zerrten mich aus der Zelle, doch
Cavello zeterte weiter. Seine Worte und sein Lachen hallten von
den Gefängnismauern wider.
»Wie ein Baby, Pellisante. Hörst du? Zum ersten Mal seit
einem Monat brauche ich mir wegen dieser dämlichen Verhandlung keine Sorgen zu machen.«
TEIL ZWEI
WIEDERAUFNAHME
46
Die Ellbogen auf mein Pult gestützt, blickte ich auf die einundzwanzig erstaunlich blasierten und mit übertriebenem Selbstvertrauen gesegneten Jurastudenten im ersten Semester.
»Kann mir jemand sagen, warum es einem Ermittlungsbeamten per Gesetz erlaubt ist, während der Ermittlungen zu
täuschen, auch wenn er sich der Schuld des Verdächtigen nicht
sicher ist, er aber während des Prozesses nicht lügen darf, auch
wenn er sich absolut sicher ist, dass der Verdächtige die Tat
verübt hat?«
Fünf Monate waren vergangen. Ich hatte eine längere Auszeit
vom FBI genommen und unterrichtete seit Januar Kriminalethik
am John Jay College of Criminal Justice.
Eine Auszeit. Ich tat alles Erdenkliche, nur um irgendwie
durchzuhalten. Ich war nicht sicher, ob ich jemals wieder
zurückgehen würde, zumindest nicht zur C-10, nachdem ich
Cavello in seiner Zelle zusammengeschlagen hatte. Aber wem
wollte ich eigentlich was beweisen? Es ging um mehr als das.
Um viel mehr. Das Schwein hatte Recht gehabt. Seit dem Tag
war mir das Bild von Jarrods Gesicht im Bus nicht mehr aus
dem Kopf gegangen.
Eine Studentin in der zweiten Reihe hob die Hand. »Es ist ein
Mittel zum Zweck«, antwortete sie. »Das Mapp-Gesetz und das
Gerichtsurteil im Prozess Vereinigte Staaten gegen Russell
erlauben der Polizei, täuschende Verfahren zur Beweisfindung
zu nutzen. Ohne diese Möglichkeit könnte es sein, dass es die
Ermittlungen nie bis vors Gericht schaffen. Die Täuschung dient
einem weiterführenden Ziel.«
»Okay.« Ich nickte und erhob mich, um ein bisschen umherzulaufen.
»Aber was ist, wenn die Polizei beim Prozess zu diesen Vorgängen lügen muss – um den Fall zu schützen?«
In der hinteren Reihe bemerkte ich etwas, das mich ärgerte.
Einer der Burschen schien weit mehr an einer Zeitung interessiert zu sein, die er in seinem Lehrbuch versteckt hielt, als an
mir. »Mr. Pearlman«, machte ich mit lauter Stimme auf mich
aufmerksam, »wären Sie bereit, zu dem Thema etwas beizutragen?«
Er hantierte mit seinem Lehrbuch herum. »Ja, klar, kein Problem.«
Ich trat an seinen Tisch und nahm die Zeitung an mich.
»Mr. Pearlman prüft lieber seine Aktienwerte, während der
vierte Zusatzartikel zur Verfassung unter Beschuss steht. Ich
hoffe für Ihre zukünftigen Mandanten, Mr. Pearlman, dass Ihre
Familie eine nette Kanzlei für Musik- oder Erotikrechte oder
dergleichen hat, in die Sie einsteigen können.«
Einige seiner Kommilitonen kicherten verhalten.
Aber ein bisschen schämte ich mich für meinen Auftritt, weil
ich mir vorkam wie einer dieser tyrannischen Lehrer, die sich
daran aufgeilen, wenn sie Macht über ihre Schüler ausüben
können. So war ich eigentlich gar nicht. Ein paar Monate zuvor
hatte ich den bekanntesten Verbrecher im Lande schikaniert,
jetzt war es irgendein junger Jurastudent. Meine Güte, Nick!
Ich versuchte es mit der Friedenstaube. »Also, Mr. Pearlman,
was genau besagt die Ausschließungsregel und in welchem Fall
vor dem Obersten Gerichtshof wurde sie als verbindlich
bestätigt?«
»Sie besagt, dass in gesetzwidriger Weise erlangte Beweismittel von der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren nicht benutzt
werden dürfen. Mapp gegen Ohio, Sir. U.S. 643. 1961.«
»Gut geraten.« Ich grinste und schob die Zeitung unter meinen
Arm. »Ich habe auch Aktien.«
Kurz darauf ertönte die Glocke. Ein paar Studenten kamen zu
mir, um eine Arbeit durchzusprechen oder sich wegen einer
Note zu beschweren. Und auf einmal saß ich ganz allein in
einem leeren Klassenzimmer.
Du lügst dich schon wieder an, Nick. Du versuchst wegzulaufen, aber du bist nicht schnell genug, dachte ich. Es ging nicht
darum, im
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