Patterson, James - Alex Cross 02 - Denn Zum Küssen Sind Sie Da
Streifenwagen, düster aussehende Notarztwagen und Fernsehübertragungswagen parkten schon überall auf der schmalen, zweispurigen Asphaltstraße. Sie füllten jede Parklücke. Ich war den Anblick von Verbrechensschauplätzen gründlich leid. Es sah aus, als wäre halb Chapel Hill vor Kates Wohnung versammelt.
Im Licht des frühen Morgens sahen alle Gesichter bleich und grimmig aus. Sie waren schockiert und wütend. Chapel Hill galt als friedliche, liberale Universitätsstadt, als sichere Zuflucht vor dem wirbelnden Chaos und dem Wahnsinn der restlichen Welt. Deshalb hatten sich die meisten Leute hier niedergelassen, aber so war es nicht mehr. Casanova hatte das für immer verändert.
Ich setzte eine staubige, fleckige Sonnenbrille auf, die seit Monaten auf dem Armaturenbrett lag. Sie hatte früher Sampson gehört. Er hatte sie Dämon geschenkt, damit er so knallhart wie Sampson aussehen konnte, wenn er Ärger mit mir bekam. Ich hatte es nötig, knallhart auszusehen.
96. Kapitel
Ich ging auf unsicheren Beinen wie Gummi auf Kates Haus zu. Vielleicht sah ich wie der knallhärteste Wahnsinnstyp weit und breit aus, aber mein Herz war schwer und unglaublich schwach. Pressefotografen machten pausenlos Bilder von mir. Die Blitzlichter klangen wie hohle, gedämpfte Schüsse. Reporter kamen heran, aber ich scheuchte sie weg.
»Bleibt zurück, Leute«, warnte ich schließlich zwei. Eine ernsthafte Warnung. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt. Nicht jetzt!«
Aber mir fiel auf, daß auch die Reporter und Kameraleute benommen und verwirrt aussahen, sogar schockiert. Sowohl das FBI als auch die Polizei von Durham waren am Schauplatz des unsäglichen, feigen Überfalls. Ich sah eine Menge einheimische Polizisten. Nick Ruskin und Davey Sikes waren aus Durham gekommen. Sikes bedachte mich mit einem bösen Blick – als wollte er sagen, daß ich hier nichts verloren hatte. Kyle Craig war schon am Tatort. Er hatte mich im Hotel angerufen und mir die schreckliche Nachricht übermittelt. Kyle kam zu mir und legte mir den Arm um die Schulter, sprach in einem leisen Flüstern mit mir.
»Es geht ihr sehr schlecht, Alex, aber irgendwie hält sie durch. Sie muß einen sehr, sehr starken Lebenswillen haben. Sie müssen sie jetzt jeden Augenblick herausbringen. Bleib mit mir hier draußen. Geh nicht hinein. Vertrau mir, ja?«
Ich hörte Kyles Worte und hatte Angst, vor den vielen Kameras, vor den vielen Fremden und den wenigen Menschen, die ich kannte, zusammenzubrechen. Mein Kopf, mein Herz – ein wirres Chaos. Schließlich ging ich ins Haus und sah mir soviel an, wie ich ertragen konnte. Er war wieder in ihr Schlafzimmer gekommen – er war hier gewesen.
Aber etwas stimmte nicht… etwas paßte für mich nicht ins Bild. Etwas… was stimmte hier nicht?
Das Notarztteam vom Duke Medical Center legte Kate auf eine Bahre, die Art von Bahre, die bei gebrochenem Rückgrat und schweren Kopfverletzungen benützt wird. Ich glaube nicht, daß ich je gesehen habe, wie jemand so behutsam getragen wurde, unter wie tragischen Umständen auch immer. Die Ärzte sahen aschfahl aus, als sie Kate hinausbrachten. Als das Notarztteam nach draußen kam, wurde die Menge plötzlich still.
»Sie bringen sie ins Duke Medical Center. Die Leute von der North Carolina University werden etwas dagegen haben, aber das Duke ist die beste Klinik im ganzen Bundesstaat«, sagte Kyle zu mir. Er versuchte, auf seine sachliche Art beruhigend zu wirken. Es gelang ihm überraschend gut.
Etwas stimmte nicht… Etwas war ganz verkehrt… Denk nach. Konzentrier deine Gedanken irgendwie. Es könnte wichtig sein… Aber ich konnte nicht klar denken. Noch konnte ich es nicht.
»Was ist mit Wick Sachs?« fragte ich Kyle.
»Er ist vor zehn nach Hause gekommen. Er ist jetzt dort… Wir wissen nicht genau, ob er nicht noch einmal weggegangen ist. Er könnte irgendwie an uns vorbeigeschlüpft sein. Vielleicht gibt es einen Geheimweg aus dem Haus. Aber eigentlich glaube ich das nicht.«
Ich ging zu einem der weißbekittelten Ärzte von der Duke University am Notarztwagen. Überall um uns herum explodierten Blitzlichter. Hunderte von »denkwürdigen« Bildern wurden von den Gaffern am Tatort aufgenommen. »Kann ich mitfahren?«
Der Notarzt schüttelte ganz sacht den Kopf. »Nein, Sir«, sagte er. Er schien in Zeitlupe zu sprechen. »Nein, Sir, im Notarztwagen dürfen nur Familienangehörige mitfahren. Es tut mir leid, Dr. Cross.«
»Heute nacht bin ich ihre Familie«, sagte
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