Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
stimmte nicht. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht in unserem Haus. Das merkte ich sofort. Sampson und Nana saßen nicht wegen einer harmlosen Plauderei um diese Zeit noch zusammen.
»Was ist los? Was ist passiert?«, fragte ich, als ich durch die Küchentür hereinkam. Mein Magen fiel ins Bodenlose. Nana und Sampson saßen an dem kleinen Esstisch. Sie unterhielten sich, schmiedeten heimliche Pläne.
»Was ist?«, fragte ich noch einmal. »Was ist los, zum Teufel?«
»Jemand hat den ganzen Abend angerufen, Alex. Aber immer wenn ich an den Apparat ging, hat er aufgelegt«, erklärte meine Großmutter, als ich mich neben ihr und Sampson an den Tisch setzte.
»Warum hast du mich nicht sofort angerufen?«, fragte ich entschieden, aber freundlich. »Du hast doch die Nummer von meinem Piepser. Dazu ist das Ding nämlich da, Nana.«
»Ich habe John angerufen«, beantwortete Nana die Frage. »Ich wusste, dass du damit beschäftigt warst, den Präsidenten und seine Familie zu beschützen.«
Ich ignorierte ihre schlechte Laune und die boshafte Bemerkung. Jetzt war keine Zeit für Zoff. »Hat der Anrufer etwas gesagt?«, fragte ich. »Hast du mit jemand geredet?«
»Nein. Zwischen halb neun und zehn Uhr kamen ungefähr zwölf Anrufe. Danach keiner mehr. Ich habe jemand am anderen Ende der Leitung atmen hören, Alex. Beinahe hätte ich ihm mit meiner Pfeife was ins Ohr geblasen.« Nana hat eine silberne Schiedsrichterpfeife am Telefon liegen – ihre Antwort auf obszöne Anrufe. Diesmal wünschte ich beinahe, sie hätte die verdammte Pfeife benutzt.
»Ich gehe jetzt ins Bett«, erklärte Nana und seufzte leise, beinahe unhörbar. In diesem Augenblick sah sie so alt aus, wie sie tatsächlich war. »Jetzt seid ihr zwei ja da.«
Mühsam erhob sie sich von dem knarzenden Küchenstuhl. Zuerst ging sie zu Sampson. Sie beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Wange.
»Nacht, Nana«, flüsterte er. »Kein Grund zur Sorge. Ist alles halb so wild, auch wenn’s im Augenblick schlimm aussieht.«
»John, John«, tadelte sie ihn milde. »Es gibt sehr viele Gründe, sich Sorgen zu machen. Und das wissen wir beide, nicht wahr?«
Dann küsste sie mich.
»Gute Nacht, Alex. Ich bin froh, dass du zu Hause bist. Dieser Mörder, der sich in unserer Gegend herumtreibt, macht mir Angst. Diesmal ist es wirklich schlimm. Bitte, vertraue meinem Gefühl – dieses eine Mal.«
Für ein paar Sekunden umarmte ich ihren zerbrechlichen Körper. Ich konnte spüren, wie sich Wut in ihr aufstaute. Ich hielt sie fest und dachte, wie schrecklich das alles war, das ihr Angst machte , dieses Fleisch gewordene Böse, das mir bis nach Hause folgte. Wer auch nur bei halbwegs klarem Verstand ist, würde der Familie eines Cops nie etwas antun. Aber ich glaubte nicht, dass der Mörder bei klarem Verstand war.
»Gute Nacht, Nana. Danke, dass du für uns da bist«, flüsterte ich an ihrer Wange. Ich roch ihren Fliedertalkumpuder. »Ich verstehe dich. Und ich bin ganz deiner Meinung.«
Nachdem Nana das Zimmer verlassen hatte, schüttelte Sampson den Kopf. Dann lächelte er endlich. »Zäh wie eh und je, Mann. Sie ist wirklich eine Marke. Aber ich liebe sie. Ich liebe deine Großmutter.«
»Ich liebe sie auch. Meistens jedenfalls.«
Ich blickte zur Deckenlampe hinauf und bemühte mich, mich auf irgendetwas zu konzentrieren, das ich begreifen konnte : Elektrizität, Lampen, Licht. Niemand kann einen geisteskranken Mörder wirklich verstehen. Sie sind wie Besucher von anderen Planeten – buchstäblich.
Zum ersten Mal im Leben war ich beinahe sprachlos. Ich fühlte mich verletzt, unglaublich wütend und hatte außerdem Angst um meine Familie. Vielleicht bedeuteten diese Anrufe nichts, aber genau wusste ich das eben nicht.
Ich holte zwei Bier aus dem Kühlschrank und öffnete mir und Sampson die Flaschen. Ich musste ohnehin mit Sampson reden. Den ganzen langen Tag hatte ich keine freie Minute gehabt.
»Nana hat wegen der Kinder Angst. Deshalb stellt sie die Nackenhaare auf und fährt die Krallen aus«, sagte Sampson und nahm einen tiefen Schluck.
»Scharfe Krallen, Mann.« Trotz der unglaublichen Umstände und meiner Müdigkeit brachte ich beinahe so etwas wie ein Lächeln zu Stande.
Dann lauschten wir beide für einen Moment der Stille des alten Hauses an der Fünften Straße. Schließlich wurde diese Stille durch das vertraute dumpfe Klopfen in den Heizungsrohren unterbrochen. Wir nahmen beide noch einen kräftigen Schluck Bier. Jetzt kamen keine störenden Anrufe
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