Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
prallen Terminplan einschieben können. Mrs. Johnson ist ganz meiner Meinung. Wir warten hier – warten, warten auf Sie ... kommen Sie ins Haus. Lassen Sie uns eine Party feiern.«
Der Junge forderte ganz offen mich und meine Autorität heraus. Er brauchte es, das Kommando zu führen. Ich prägte mir alles ganz genau ein, seine Stimme, jede seiner Bewegungen und auch die Abfolge. Paranoide Schizophrenie lautete meine mögliche Diagnose. Bipolare Verhaltensstörungen war eine bessere Vermutung. Ich musste mit ihm reden, um den Rest herauszufinden .
Trotzdem schien Danny Boudreaux zusammenhängend zu reagieren. Er schien ein normales Zeitempfinden zu besitzen. Ich fragte mich, ob er wieder sein Depakote nahm.
»Alex, komm her, verdammt. Ich möchte mit dir reden«, ertönte eine Stimme hinter mir. »Alex, komm her!«
Ich drehte mich um, wo die Musik spielte. Sampson machte eine stinksaure Miene. »Wir brauchen nicht noch eine Geisel da drin«, erklärte er entschieden. Er war jetzt schon wütend auf mich. Seine Augen waren schwarze Perlen, seine Brauen zusammengezogen. »Du hast nicht gehört, wie schlimm der kleine Scheißer vorhin getobt hat – fast den ganzen Abend lang. Der Bursche ist wirklich irre. Er ist total verrückt, Alex. Er will nur eins: noch jemanden töten.«
»Ich glaube, ich werde mit ihm fertig«, sagte ich. »Er ist der Typ, mit dem ich schon zu tun hatte. Gary Soneji, Casanova, Danny Boudreaux. Außerdem habe ich keine Wahl.«
»Du hast keine Wahl, Kleiner? Du hast bloß keinen gesunden Menschenverstand.«
Ich schaute zum Haus. Christine Johnson war mit dem Killer da drinnen. Wenn ich nicht hineinging, würde er sie umbringen. Das hatte er gesagt, und ich glaubte ihm. Was für eine Wahl blieb mir? Außerdem bleibt keine gute Tat ungestraft, stimmt’s?
Häuptling Pittman gab mir ein Zeichen, dass er mit allem einverstanden war. Jetzt lag die Entscheidung allein bei mir. Bei Doctor-Detective Cross .
Ich holte tief Luft und marschierte über den nassen, elastischen Rasen zum Haus. Die Nachrichtenreporter schossen in den wenigen Sekunden, die ich bis zur Eingangstür brauchte, eine Unmenge Fotos. Plötzlich waren sämtliche Fernsehkameras auf mich gerichtet.
Ich machte mir tatsächlich große Sorgen wegen Danny Boudreaux. Er war jetzt unglaublich gefährlich. Er war auf einer Killertour. Fünf wahllose Morde in den letzten Wochen. Jetzt saß er in der Falle. Und was noch schlimmer war: Er hatte sich selbst in diese Falle hineinmanövriert.
Ich griff nach dem Türknopf. Ich fühlte mich benommen, nicht ganz auf der Höhe. Ich hatte nur einen Tunnelblick. Ich richtete die Augen starr auf die weiß lackierte Tür.
»Es ist offen«, ertönte eine Stimme hinter der Tür.
Eine Jungenstimme. Ein wenig heiser. Leise und mickrig ohne die verstärkende Kraft des Megafons.
Ich stieß die Tür auf. Endlich sah ich den Truth-Killer in seinem gesamten irren Glanz und seiner Gloria.
Danny Boudreaux war nicht größer als einssiebenundfünfzig oder -achtundfünfzig. Er hatte schmale, listig-verschlagene Augen wie ein Nager, große Ohren und einen grässlichen Kurzhaarschnitt. Der Junge sah merkwürdig aus. Auf alle Fälle war er ein Ausgestoßener, eine Art Missgeburt. Ich spürte, dass die anderen Kinder ihn nie gemocht hatten, dass er ein Einzelgänger war – und das schon sein Leben lang.
Er zielte mit der Smith & Wesson direkt auf meine Brust.
»Militärakademie«, erinnerte er mich. »Ich bin ein hervorragender Schütze, Detective Cross. Ich habe mit menschlichen Zielscheiben null Probleme.«
99.
Mein Herz hämmerte in dem engen Knochenkäfig meiner Brust. In meinem Kopf surrte es immer noch laut wie eine atmosphärische Störung im Radio. Ich fühlte mich nicht als Polizeiheld. Ich hatte Angst. Mehr Angst als sonst. Vielleicht, weil der Mörder dreizehn Jahre alt war.
Danny Boudreaux wusste, wie er mit der halbautomatischen Waffe, die er in der Hand hielt, umzugehen hatte. Früher oder später würde er sie benutzen. In diesem Augenblick gab es nur eine einzige Sache im gesamten Universum, die wichtig für mich war: ihm die Smith & Wesson wegzunehmen.
Das Bild, das sich mir bot, erforderte meine ganze Aufmerksamkeit: ein dünner Dreizehnjähriger mit Pickeln und einer tödlichen Pistole, mit der er auf mein Herz zielte. Obwohl Boudreaux’ Hand ruhig war, schien er mir mental und körperlich doch weit mehr durchgeknallt zu sein, als ich erwartet hatte. Wahrscheinlich war er gespalten.
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