Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
Sein Verhalten würde immer unberechenbarer, verrückter werden. Die Labilität des Jungen war nicht zu übersehen. Deshalb hatte ich Angst vor ihm. Es lag etwas in seinen Augen. Sie schossen umher wie Vögel, die in einer Glaskugel gefangen waren.
Er schwankte leicht, als er im Eingangsflur im Haus der Johnsons stand. Die Pistolenmündung beschrieb kleine Kreise. Er trug ein eigenartiges Sweatshirt mit dem Aufdruck HAPPY, HAPPY. JOY, JOY.
Seine kurzen Haare waren schweißnass, die Brille an den Rändern beschlagen. Hinter der Brille waren seine Augen wie glasiert. Sie schimmerten feucht. Er sah genauso aus, wie man sich den Truth-Killer vorstellen würde. Ich bezweifelte, dass jemand Danny Boudreaux sehr gemocht hatte. Ich jedenfalls mochte ihn nicht.
Plötzlich nahm der dünne Junge militärische Haltung an. »Willkommen an Bord, Detective Cross, Sir! «
»Hallo, Danny.« Ich sprach so ruhig mit ihm, so selbstverständlich, wie ich konnte. »Du hast gerufen – und hier bin ich.« Und ich bin derjenige, der deinen Arsch hinter Gitter bringt.
Er blieb auf Distanz. Er war ein Bündel zerfetzter Nerven und unglaublicher aufgestauter Wut. Er war eine Marionette, bei der niemand an den Schnüren zog. Es war völlig unmöglich vorauszusagen, wie es von nun an weitergehen würde.
Danny Boudreaux litt eindeutig unter Entzugserscheinungen, seine vom Arzt verschriebenen Medikamente fehlten ihm. Er trug das vollständige Paket psychischer Macken mit sich herum: Aggression, Depression, Psychose, Hyperaktivität und Verhaltensverfall.
Ein dreizehnjähriger eiskalter Killer. Wie nehme ich ihm bloß die Waffe weg?
Christine Johnson stand in dem dunklen Wohnzimmer hinter ihm. Sie rührte sich nicht. Im Hintergrund sah sie sehr distanziert und klein aus, trotz ihrer Größe. Außerdem war sie verängstigt, erschüttert und erschöpft.
Rechts von ihr war ein wunderschöner gemeißelter Kamin, der aussah, als würde er aus einem großen Backsteinprachtbau stammen. Ich hatte bis jetzt nicht viel vom Wohnzimmer gesehen. Ich musterte den Raum genau und suchte nach einer Waffe, nach irgendetwas, das uns helfen konnte.
George Johnson lag auf dem cremefarbenen Marmorboden im Eingangsflur. Christine oder der Junge hatte eine rot karierte Decke über den Leichnam gelegt. Es sah aus, als hätte der ermordete Anwalt sich hingelegt, um ein Nickerchen zu machen.
»Christine, alles in Ordnung?«, rief ich. Sie wollte antworten, ließ es aber.
»Es geht ihr gut, Mann! Absolut bestens!«, fuhr Boudreaux mich an. Er verschliff die Worte. »Ja, alles okay. Ich bin hier der Verlierer. Es geht um mich.«
»Ich kann verstehen, wie müde du bist, Danny.« Ich nahm an, dass er unter Schwindel, Mundtrockenheit und verminderter Konzentration litt.
»Ja, da haben Sie Recht. Was haben Sie sonst noch zu sagen? Noch irgendwelche Goldkörner der Weisheit über mein desillusionierendes Benehmen?«
Peng! Unvermittelt trat er die Vordertür zu. Typisch impulsives Verhalten. Ich gehörte jetzt eindeutig zur Party. Immer noch war der Junge sehr vorsichtig und blieb auf Distanz – und hielt die Waffe auf mich gerichtet.
»Ich kann sehr gut mit diesem gottverdammten Ding schießen«, erklärte er für den Fall, dass ich es bis jetzt noch nicht kapiert hatte. Das bestätigte meine Auffassung über seine ausgeprägte Paranoia, seine Unruhe und Nervosität.
Er machte sich schreckliche Sorgen darüber, wie ich ihn einschätzte und für wie fähig ich ihn hielt. In seiner Verwirrung verwechselte er mich mit seinem leiblichen Vater. Der Vater, der Polizist, der ihn und seine Mutter verlassen hatte. Ich hatte auf der Herfahrt von dieser Geschichte erfahren. Es ergab keinen Sinn und passte doch perfekt.
Ich erinnerte mich, dass dieser nervöse, dünne, Mitleid erregende Junge ein Mörder war. Es fiel mir nicht schwer, so ein Scheusal zu hassen. Trotzdem hatte der Junge etwas Tragisches und Trauriges an sich. Irgendwie war Danny Boudreaux schrecklich einsam – und abartig.
»Ich glaube dir, dass du ein hervorragender Schütze bist«, versicherte ich ihm mit ruhiger Stimme. Ich wusste, dass er das hören wollte.
Ich glaube dir.
Ich glaube, dass du ein eiskalter Killer bist. Ich glaube, dass du ein junges Scheusal und wahrscheinlich nicht zu retten bist.
Wie kriege ich deine Pistole?
Ich glaube, ich muss dich töten, ehe du mich oder Christine Johnson umbringst.
100.
Ich betrachtete die Worte HAPPY, HAPPY. JOY, JOY. Ich wusste, woher der Slogan auf seinem
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