Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
das Kätzchen frei. Obwohl er ein paar Luftlöcher in den Sack gerissen hatte, wäre es fast erstickt. »Such den Hasen!« befahl er. Die Katze witterte das frische Fleisch und sprang los. Gary legte sich das 22er-Gewehr an die Schulter und beobachtete sie. Er nahm das bewegliche Ziel ins Visier, streichelte den Abzug seiner Waffe, und dann schoß er. So lernte er das Töten.
Er war wirklich süchtig! Es hatte sich wenig geändert, seit er in Princeton der Prototyp des bösen Buben gewesen war. Seine Stiefmutter – die grausige Hure Babylon – schloß ihn damals regelmäßig im Keller ein. Sie ließ ihn allein in der Finsternis, manchmal zehn bis zwölf Stunden . Aber er lernte, die Dunkelheit zu lieben, in der Dunkelheit zu existieren. Er lernte, den Keller zu lieben, und machte ihn zu seinem Lieblingsort auf der Welt. Gary besiegte sie in dem Spiel, das sie sich ausgedacht hatte. Er lebte in der Unterwelt, in seiner Privathölle. Fr glaubte wirklich, er sei der Fürst der Finsternis.
Gary Soneji mußte sich zwingen, in die Gegenwart zurückzukehren, zurück in die Union Station und zu seinem wunderbaren Plan. Die Polizei durchsuchte die Züge.
Die Polizei war jetzt da draußen, ganz in seiner Nähe. Vielleicht war Alex Cross dabei.
Was für ein großartiger Auftakt! Und das war erst der Anfang.
12.
Er beobachtete, wie die Esel von der Polizei auf den Laderampen der Union Station herumliefen. Sie sahen verängstigt aus, verloren, verwirrt und schon halb besiegt. Das war gut zu wissen, eine wertvolle Information. Es gab den Ton für Künftiges vor.
Soneji musterte eine Geschäftsfrau, die auf der anderen Seite des Ganges saß. Auch sie sah verängstigt aus. An den geballten Händen traten die Knöchel weiß hervor. Sie war völlig starr und hielt die Schultern vollkommen gerade wie ein Kadett auf der Militärakademie.
Soneji sprach sie an. Er war höflich und sanft, wie er es sein konnte, wenn er wollte.
»Ich habe das Gefühl, als sei dieser ganze Morgen ein einziger böser Traum. Als ich ein Junge war, habe ich in solchen Situationen immer gezählt: Eins, zwei, drei, wach auf! So konnte ich mich aus einem Alptraum herausholen. Heute würde das bestimmt nicht mehr funktionieren.«
Die Frau auf der anderen Seite des Ganges nickte, als ob er etwas Tiefsinniges gesagt hätte. Er hatte eine Verbindung zu ihr hergestellt. Soneji hatte das immer gekonnt, hatte die Hände ausgestreckt und jemanden berührt, wenn er es brauchte. Er wußte, er brauchte es jetzt. Es würde einen besseren Eindruck machen, wenn er sich mit einer Mitreisenden unterhielt, falls die Polizei durch den Wagen kam.
»Eins, zwei, drei, wach auf«, sagte sie mit leiser Stimme. »Gott, ich hoffe, daß wir hier unten sicher sind. Ich hoffe, daß sie ihn inzwischen gefaßt haben. Wer auch immer er sein mag.«
»Ich bin mir sicher, daß sie ihn fassen«, sagte Soneji. »Ist es nicht immer so? Solche Irre sorgen selbst dafür, daß sie gefaßt werden.«
Die Frau nickte, doch ihre Worte klangen nicht allzu überzeugt. »Das stimmt. Ich bin mir sicher, daß Sie recht haben. Ich hoffe es. Ich bete darum.«
Zwei Detectives aus D.C. betraten den Großraumwagen. Ihre Gesichter waren verschlossen. Jetzt würde es interessant werden. Gary entdeckte weitere Cops, die sich durch den Speisewagen näherten, der sich im nächsten Waggon befand. Inzwischen mußten Hunderte von Cops im Bahnhofsgebäude sein. Die Vorstellung lief. Vorhang auf für den zweiten Akt!
»Ich bin aus Wilmington, Delaware. Wilmington ist mein Zuhause«, wandte sich Soneji wieder an die Frau. »Sonst hätte ich den Bahnhof schon verlassen. Das heißt, wenn sie uns erlaubt hätten, wieder hinaufzugehen.«
»Das erlauben sie nicht. Ich hab’s versucht«, antwortete die Frau. Ihre Augen waren starr vor Angst, verharrten in einer merkwürdigen Stellung. Er liebte diesen Ausdruck. Es fiel Soneji schwer, wegzuschauen, sich auf die näher kommenden Polizisten und die Bedrohung, die sie möglicherweise darstellten, zu konzentrieren.
»Wir müssen alle Ausweise kontrollieren«, erklärte ein Detective. Er hatte eine tiefe, ernste Stimme, die klang, als ob mit ihm nicht zu spaßen sei. Sie zog alle Aufmerksamkeit auf sich. »Halten Sie Ausweise mit Fotos bereit. Danke.«
Die beiden Detectives erreichten Garys Sitzreihe. Sollte jetzt alles vorbei sein? Komisch, er empfand rein gar nichts. Er war bereit, die beiden Cops umzulegen.
Soneji bekam seine Atmung und seinen Herzschlag wieder in
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