Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
Smith arbeitete. Vor dem Bahnhofsgebäude wartete der Mob von Reportern. Hätte es noch schlimmer kommen können? »Der Zug ist abgefahren«, mußte ich ständig denken. Es war eines jener Wortspiele, die sich im Kopf festsetzen und einen nicht mehr loslassen.
Am Ende des Tages hatte ich trübe Augen und war hundemüde, aber zudem so traurig, wie ich es noch nie am Tatort eines Mordes gewesen war. Natürlich war das hier kein normaler Tatort. Ich hatte Soneji aus dem Verkehr gezogen, aber irgendwie fühlte ich mich auch dafür verantwortlich, daß er wieder auf freiem Fuß war.
Für Soneji war es absolut typisch, daß er methodisch vorging. Er hatte gewollt, daß ich in die Union Station kam. Aber warum? Die Antwort auf diese Frage war mir immer noch nicht klar.
Schließlich schlich ich durch eine Unterführung aus dem Bahnhof, um der Presse zu entgehen, fuhr nach Hause, duschte und zog saubere Sachen an. Das half ein bißchen. Ich legte mich auf mein Bett und schloß zehn Minuten lang die Augen. Ich wollte alles, was an diesem Tag geschehen war, aus dem Kopf bekommen, schaffte es aber nicht. Ich dachte kurz daran, die Verabredung mit Christine Johnson abzusagen. Doch eine warnende Stimme in meinem Kopf mahnte: Verpfusch es nicht. Mach ihr keine Angst vor deinem Job. Sie ist die Richtige. Ich hatte schon gespürt, daß Christine Schwierigkeiten mit meiner Arbeit als Detective bei der Mordkommission hatte, und konnte es ihr nicht verübeln, schon gar nicht an einem Tag wie heute.
Rosie, die Katze, kam herein und kuschelte sich an meine Brust.
»Katzen sind wie Baptisten«, flüsterte ich ihr zu. »Man weiß, daß sie anderen die Hölle heiß machen, aber man kann sie nie dabei erwischen.«
Rosie maunzte zustimmend und schnurrte zufrieden. Es sind diese besonderen Momente, die unsere Freundschaft ausmachen.
Als ich schließlich nach unten kam, nahmen mich meine Kinder in die Mangel. Selbst Rosie beteiligte sich an dem Spaß, rannte im Wohnzimmer herum, als sei sie der Cheerleader in der Familie.
»Du siehst schick aus, Daddy. Wunderschön! « Jannie zwinkerte und bedachte mich mit dem Okayzeichen.
Sie meinte es ernst, aber gleichzeitig schien sie sich über meine »Verabredung« sehr zu amüsieren. Sie genoß offensichtlich den Gedanken, daß ich mich so in Schale geworfen hatte, bloß um mich mit der Rektorin ihrer Schule zu treffen.
Damon war noch schlimmer. Er sah mich die Treppe herunterkommen, fing an zu kichern und konnte gar nicht wieder damit aufhören. »Ganz wunderschön«, säuselte er zwischendurch.
»Das zahle ich dir heim«, sagte ich zu ihm. »Zehnfach, vielleicht auch hundertfach. Warte nur ab, bis du eine Freundin mit nach Hause bringst, damit dein Paps sie kennenlernt. Dieser Tag wird kommen!«
»Das hier ist es wert«, sagte Damon und lachte weiter wie ein kleiner Irrer. Seine Ausgelassenheit steckte Jannie an, die sich schließlich kichernd auf dem Teppich wälzte. Rosie sprang aufgeregt zwischen den beiden hin und her.
Ich ging zu Boden, knurrte wie von Sinnen und begann, mit den Kindern zu rangeln, die mich wie üblich rasch kurierten. Zwischendurch sah ich hinüber zu Nana Mama, die auf der Schwelle zwischen der Küche und dem Eßzimmer stand. Sie war seltsam ruhig und beteiligte sich nicht wie sonst meistens an der Aktion.
»Willst du nicht eines dieser Ungeheuer abhaben, alte Frau?« fragte ich, während ich Damon festhielt und seinen Kopf leicht an meiner Brust rieb.
»Nein, danke. Aber heute abend bist du mindestens ebenso nervös wie Rosie«, sagte Nana und fing schließlich doch an zu lachen.
»So habe ich dich nicht mehr gesehen, seit du um die vierzehn warst und mit Jeanne Allen ausgegangen bist, falls ich mich an den Namen richtig erinnere. Aber Jannie hat recht, du siehst wirklich, sagen wir mal, ziemlich flott aus.«
Schließlich ließ ich Damon frei, stand auf und fegte mir den Staub von den eleganten Abendklamotten.
»Ich möchte mich bei euch allen bedanken, daß ihr mir in Notzeiten solchen Beistand geleistet habt.«
Ich sagte es mit geheucheltem Ernst und einem gespieltverletzten Gesichtsausdruck.
»Gern geschehen!« riefen die drei im Chor. »Amüsier dich gut! Du bist wunderschön! «
Ich ging hinaus zum Auto, weigerte mich, zurückzuschauen und ihnen dadurch die Befriedigung eines letzten süffisanten Grinsens oder weiterer Hurrarufe zu geben. Ich fühlte mich jedoch besser, auf merkwürdige, aber sehr angenehme Weise wiederbelebt. Ich hatte meiner Familie,
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