Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
Haus entfernt auf der von Bäumen gesäumten Straße. Vögel zwitscherten munter, nichts wissend vom Tod.
Als ich auf den Tatort zuging, genoß ich wenigstens einen Aspekt der Angelegenheit: die Anonymität, die mich in New York umfing. In Washington wissen viele Reporter, wer ich bin. Wenn ich zum Tatort eines Mordes komme, handelt es sich meistens um einen großen, besonders grausamen Fall, ein schauerliches Gewaltverbrechen. Hier jedoch wurden Detective Carmine Groza und ich ignoriert, als wir durch die gaffende Menge zu Goldmans Haus gingen. Groza stellte mich allen vor, und ich konnte mir das Schlafzimmer ansehen, in dem Manning Goldman brutal ermordet worden war. Die New Yorker Cops schienen alle zu wissen, wer ich war und warum ich hier war. Ein paarmal hörte ich, wie Sonejis Name gemurmelt wurde. Schlechte Nachrichten sprechen sich schnell herum.
Die Leiche des Detectives war schon aus dem Haus geschafft worden. Mir gefiel es nicht, erst so spät am Tatort des Mordes einzutreffen. Mehrere Leute von der Spurensicherung der New Yorker Polizei untersuchten das Zimmer. Goldmans Blut war überall, es war auf dem Bett verspritzt, an den Wänden, auf dem beigefarbenen Teppichboden, dem Schreibtisch und den Bücherregalen und sogar auf einer goldenen Menora. Ich wußte inzwischen, warum Soneji so versessen darauf war, Blut zu vergießen – sein eigenes Blut war tödlich.
Ich konnte Gary Soneji hier in Goldmans Zimmer spüren, ich konnte ihn direkt vor mir sehen, und es verblüffte mich, daß ich mir seine Präsenz derart intensiv körperlich und emotional vorstellen konnte. Ich erinnerte mich daran, wie Gary Soneji damals nachts mit einem Messer in mein Haus eingedrungen war. Warum war er hierhergekommen? Wollte er mich warnen, trieb er Spielchen mit mir?
»Er wollte eindeutig eine spektakuläre Erklärung abgeben«, murmelte ich, mehr zu mir selbst als an Carmine Groza gewandt. »Er wußte, daß Goldman die Ermittlungen in New York geleitet hat. Er will uns zeigen, daß er alles im Griff hat.«
Da war jedoch noch etwas anderes. Hinter der Sache mußte mehr stecken, als ich bis jetzt bemerkt hatte. Ich ging im Schlafzimmer auf und ab. Plötzlich fiel mir auf, daß der Computer auf dem Schreibtisch eingeschaltet war.
Ich sprach einen Mann von der Spurensicherung an, einen sehr mageren Kerl mit einem kleinen, grimmigen Mund. Er paßte perfekt an den Tatort eines Mordes.
»Lief der Computer, als Detective Goldman gefunden wurde?« fragte ich ihn.
»Ja, der Mac lief. Wir haben ihn bereits auf Fingerabdrücke untersucht.«
Ich warf Groza einen Blick zu.
»Wir wissen, daß er nach Shareef Thomas sucht, und Thomas stammt aus New York. Angeblich ist er jetzt wieder hier. Vielleicht hat Soneji Goldman dazu gezwungen, Thomas’ Akte aufzurufen, bevor er ihn ermordet hat.«
Ausnahmsweise antwortete Detective Groza nicht. Er sagte keinen Ton und reagierte nicht. Ich war mir selbst nicht völlig sicher, trotzdem vertraute ich meinen Instinkten, vor allem, wenn es um Soneji ging. Ich folgte seinen blutigen Fußspuren und war mir sicher, nicht weit hinter ihm zu sein.
42.
Die überraschend gastfreundliche New Yorker Polizei hatte für mich eine Übernachtung im Marriott Hotel in der Fortysecond Street gebucht. Und sie stellte bereits Nachforschungen nach Shareef Thomas für mich an. Alles nur erdenklich Mögliche war in Angriff genommen worden, aber Soneji war in der Großstadt eine weitere Nacht lang auf freiem Fuß.
Shareef Thomas hatte in D.C. gelebt, stammte aber aus Brooklyn. Ich war mir ziemlich sicher, daß Soneji ihm hierher gefolgt war. Hatte er mir das nicht durch Jamal Autry im Gefängnis ausrichten lassen? Er hatte mit Thomas noch eine Rechnung offen, und Soneji war jemand, der alte Rechnungen immer beglich. Ich mußte es schließlich am besten wissen.
Um halb neun abends verließ ich schließlich die Police Plaza und war körperlich am Ende. Ich wurde mit einem Streifenwagen in die Stadt chauffiert. Ich hatte zu Hause eine Tasche gepackt, war also auf ein paar Tage Aufenthalt vorbereitet, falls es nötig sein sollte. Ich hoffte, daß es nicht dazu kommen würde. Unter den richtigen Umständen bin ich gern in New York, aber hier ging es weder um Weihnachtseinkäufe auf der Fifth Avenue im Dezember noch um ein Spiel der Yankee World Series im Herbst.
Gegen neun rief ich zu Hause an, und unser automatischer Anrufbeantworter – Jannie – meldete sich: »Ist da E. T.? Rufst du zu Hause an?«
Sie hat oft
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