Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
Sie bloß nicht meinetwegen den Kopf. Versprochen?«
»Ich werde mir Mühe geben.«
Die beiden verließen das Tatou und machten sich gemeinsam auf den Weg zu ihrer Eigentumswohnung.
44.
Ich stand ganz allein an der Forty-second Street in Manhattan und wartete ungeduldig darauf, daß Carmine Groza auftauchte. Schließlich holte mich der Detective von der Mordkommission am Vordereingang des Marriott ab. Ich stieg in sein Auto, und wir fuhren nach Brooklyn. Endlich hatte sich in dem Fall etwas Gutes getan, zumindest etwas Vielversprechendes.
Shareef Thomas war in einem Crackschuppen an der Kreuzung zwischen der Bedford und der Stuyvesant Street in Brooklyn gesehen worden. Ob Gary Soneji auch wußte, wo Thomas war? Wieviel, wenn überhaupt etwas, hatte er aus Manning Goldmans Computerakten erfahren?
Um Viertel nach sieben am Samstag morgen war der Verkehr in der City eine seltene Freude. Wir rasten in weniger als zehn Minuten von Westen nach Osten durch Manhattan und überquerten auf der Brooklyn Bridge den East River. Die Sonne ging eben über einer Reihe hoher Wohnhäuser auf, ein blendender gelber Feuerball, von dessen Anblick ich sofort Kopfschmerzen bekam.
Kurz vor halb acht kamen wir an der Kreuzung zwischen der Bedford und der Stuyvesant Street an. Ich hatte vom üblen Ruf dieser Gegend Brooklyns gehört. Um diese Zeit war sie jedoch fast menschenleer. Rassistische Cops in D.C. sind bei der Schilderung solcher Innenstadtgebiete ziemlich bösartig, sie nennen sie »selbstreinigende Backöfen«. Man macht nur die Tür zu, und der Ofen reinigt sich von selbst. Laßt sie einfach vor sich hin schmoren! Nana hat allerdings noch ein anderes Wort für die meist vor allem auf Vernachlässigung beruhenden Sozialprogramme Amerikas für seine Innenstädte: Völkermord.
Vor einer Bodega hing ein von Hand beschriftetes gelbes Schild, auf dem in roten Buchstaben gekritzelt stand: F IRST S TREET I MBISS UND T ABAKWAREN . 24 Stunden geöffnet. Der Laden war geschlossen. Soviel zu den Schildern.
Vor dem verlassenen Imbiß parkte ein hellbrauner Lieferwagen. Das Fahrzeug hatte silbrig getönte Fensterscheiben und war mit einem Seitengemälde verziert, welches das mondscheinbeschienene Miami darstellte. Eine einsame Drogensüchtige schlurfte mit wackligen Knien schwankend näher. Sie war der einzige Mensch auf der Straße, als wir ankamen.
Das Gebäude, in dem Shareef Thomas sich aufhalten sollte, war ein zweistöckiges Haus mit verwitterten grauen Schindeln und etlichen eingeschlagenen Fenstern. Es sah aus, als sei es schon vor langer Zeit zum Abriß verurteilt worden. Thomas war angeblich immer noch in dem Crackschuppen. Groza und ich machten es uns im Auto bequem und warteten; wir hofften, daß Gary Soneji auftauchen würde.
Ich rutschte in eine Ecke des Vordersitzes. Ein Stück entfernt sah ich über einem Gebäude aus rotem Backstein eine Tafel mit einem bereits abblätternden Plakat: C OP ERSCHOSSEN ! $ 10 000 B ELOHNUNG . Kein gutes Omen, aber eine faire Warnung.
Etwa gegen neun erwachte die Gegend langsam und zeigte ihr wahres Wesen. Zwei alte Frauen in weißen Hemdblusenkleidern gingen Hand in Hand auf die Pentecostal-Kirche weiter oben in der Straße zu. Sie erinnerten mich an Nana und ihre Freundinnen in D.C. Dadurch wurde mir wieder bewußt, wie sehr ich es vermißte, am Wochenende zu Hause zu sein.
Ein sechs- oder siebenjähriges Mädchen spielte auf der Straße Seilhüpfen. Ich bemerkte, daß das »Seil« eigentlich ein altes Elektrokabel war. Das Mädchen bewegte sich lustlos, fast wie in Trance.
Es machte mich traurig, der Kleinen beim Spielen zuzuschauen. Ich fragte mich, was aus dem Mädchen wohl werden mochte. Hatte sie eine Chance, hier herauszukommen? Ich dachte an Jannie und Damon, die vermutlich enttäuscht darüber waren, daß ich am Samstag morgen nicht zu Hause war. Samstag ist unser freier Tag, wir können nur samstags und sonntags Zusammensein.
Die Zeit verstrich nur langsam, das ist bei einer Überwachung fast immer so. Mir kam ein Gedanke, der mit dieser Gegend zu tun hatte: Auch Tragödien können süchtig machen! Gegen halb elf kamen zwei übel aussehende Typen in ärmellosen T-Shirts und abgeschnittenen Jeans in einem schwarzen Lieferwagen ohne Kennzeichen angefahren. Sie bauten ihre Waren auf und verkauften auf der Straße Wassermelonen, Maiskolben und Grünkohl. Die Melonen stapelten sich in der dreckigen Gasse.
Jetzt war es fast elf, und ich machte mir Sorgen. Vielleicht hatten wir
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