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Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Landvik
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sehen.
    Â»Ich weiß es nicht, Nora.«
    Sie hielten einander fest, bis sie von unten das Läuten der Türglocke hörten.
    Â»He«, sagte Patty Jane, »wir können doch deine Großmutter nicht mit den maskierten kleinen Bonbonbettlern da unten allein lassen.«

16
    BEIM Thanksgiving-Essen in diesem Jahr erhielt der Truthahn ekstatisches Lob, und alle schwärmten von Iones Salbei-Zwiebel-Sauce. Alva Bundts Tischdekoration aus Flaschenkürbissen und Stroh war originell, und hatte je jemand das Silber blanker poliert als Nora? Doch die Komplimente wurden in einer Atmosphäre gezwungener Fröhlichkeit getauscht. Seit einer Woche hatte niemand mehr etwas von Harriet gehört.
    Sie hatte bei Evelyn Bright campiert, bis Evelyns Ehemann Corny ein Ultimatum gestellt hatte: »Entweder sie oder ich.« Unter Tränen, die sie immer wieder mit einem Spitzentüchlein abtupfte, hatte Evelyn Harriet auf ihre Bitte in die Stadt gefahren. Seitdem war sie nicht mehr gesehen worden.
    Die Angst um ihre Schwester schlug Patty Jane auf den Magen. Sie schob ihr Essen auf dem Teller hin und her, bis die Preiselbeeren das Kartoffelpüree rosarot gefärbt hatten und der Mais unter den Süßkartoffeln und der Sauce begraben war. Harriets leerer Platz am Tisch war wie ein ständiger stummer Vorwurf. Und doch hielt irgend etwas Patty Jane davon ab, nach ihrer Schwester zu suchen. Sie wußte seit ihrer Kindheit, daß sich die Sucht nach dem Alkohol nicht mit Gewalt austreiben ließ, und jetzt fühlte sie sich genauso von Hilflosigkeit gelähmt wie damals, als ihre Eltern getrunken hatten.
    Sie dachte an Thanksgiving vor Jahren, als Harriet das Dankgebet gesungen hatte und für die dreijährige Nora immer wiederholen mußte. Sie dachte daran, wie Harriet die Pute gefüllt und, statt sie zuzunähen, mit Heftklammern geschlossen hatte. Sie dachte an die vielen Male zu Thanksgiving, an denen sie und Harriet sich im Radio die Macy’s-Day-Parade angehört hatten, während ihre Eltern im Wohnzimmer getrunken hatten.
    Als abgedeckt war und Ione die Sahne für den Kürbiskuchen schlug, zogen Patty Jane und Nora den Wunschknochen. Nora zog das größere Ende, aber Patty Jane wünschte sich trotzdem etwas. Sie schloß die Augen und wünschte sich, ihre Schwester möge gesund und nüchtern heimkehren.
    Harriet stand am Thanksgiving-Abend nicht vor der Suppenküche der Heilsarmee an. Sie wurde auch nicht wegen Stadtstreicherei auf ein Polizeirevier geschleppt. Sie aß in Gesellschaft eines Mannes, den sie am Bahnhof kennengelernt hatte, in einem Hotelrestaurant einen durchaus annehmbaren Putenbraten – eine Spur zu trocken vielleicht, aber wirklich nicht schlecht.
    Der Mann, ein Metallwarenvertreter aus Kansas City, lud sie hinterher in sein Hotelzimmer ein. »Aber gern«, sagte sie so bereitwillig, als hätte er sie um Feuer gebeten, und dort oben, unter steifen Laken, die an den Ecken bombenfest unter die Matratze gestopft waren, schlief sie zum erstenmal, seit sie und Avel sich am Flußufer unter einem Universum von Sternen geliebt hatten, wieder mit einem Mann.
    Er war schon weg, als Harriet am nächsten Morgen erwachte, aber er hatte ihr fünf Dollar zurückgelassen und ein Briefchen, in dem er ihr »für den Spaß« dankte. Harriet wurde klar, daß sie niemals in Bus- oder Bahnhöfen würde nächtigen müssen, solange es Männer auf Reisen gab.
    In ihren lichten Momenten – wenn sie ihren Kater in einer Hotelbadewanne ausschwitzte – betrachtete sie sich und gelobte sich, Patty Jane anzurufen, sobald sie ihr Haar getrocknet und sich angekleidet hatte. Meistens schaffte sie es sogar, den Hörer abzunehmen, aber dann lähmten Furcht und Scham ihre Finger, und sie dachte daran, daß es ja Patty Jane gewesen war, die sie hinausgeworfen hatte und die, wenn man es sich recht überlegte, an ihrer Situation schuld war. Dann legte sie den Hörer wieder auf und wartete darauf, daß der Mann, mit dem sie das Zimmer teilte, zurückkommen und mit ihr in eine Kneipe gehen würde.
    Harriet wußte, daß es für diese Männer, die sie dafür bezahlten, daß sie mit ihnen schlief und trank, andere Bezeichnungen gab; dennoch nannte sie sie »Freunde«, und Bon Drake war der achte.
    Harriet war fast eine Woche mit ihm zusammen. Er war ein Rechtsanwalt aus Fargo, North Dakota, gutaussehend,

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