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Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Landvik
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grauhaarig. Bon sprach nie über sein Alter, aber Harriet schätzte ihn auf fünfzig; seine Taille war ein wenig schwammig und das Fleisch unter seinen Armen schlaff.
    Aber es tat ihr gut, mit ihm Arm in Arm durch die Stadt zu gehen. Straßen und Schaufenster waren weihnachtlich dekoriert, und es schneite, und sie stellte sich vor, sie wären ein glücklich verheiratetes Paar. Daß sie meistens betrunken waren, konnte Harriets Phantasien nicht erschüttern. Sie wußte, wenn sie sich selbst und Bon auf der Straße sähe, würde sie denken: »Was für ein glückliches Paar.«
    Dann rief die Ehefrau an, von deren Existenz Harriet nichts wußte. Sie und Bon hatten auf dem Hotelbett gelegen und sich im Fernsehen The Beverly Hillbillies angesehen. Harriet floh ins Badezimmer.
    Â»Was hast du da im Gesicht?« fragte Bon im Konversationston, als er zur Tür hereinsah.
    Harriet schob ihr Haar über ihre Wange, auf der sich ein rotes schuppiges Mal gebildet hatte.
    Â»Ein Ekzem«, antwortete sie. »Ich hab eine Neigung dazu.«
    Â»Und hast du dazu auch eine Neigung?« fragte Bon und begann, sie zu schlagen. Ehe Harriet wußte, wie ihr geschah, lag sie auf dem Boden neben der Toilette. Das Blut in ihrem Kopf brauste wie eine wilde Brandung, und Bon hockte auf ihr. Ich tu einfach so, als wäre ich tot, dachte sie, wenn ich das nicht sowieso schon bin. Eine Minute oder eine Stunde verging – Harriet wußte es nicht –, ehe Bon, finstere Flüche murmelnd, die Harriet kaum hören konnte, aufstand und ging. Sie hörte, wie eine Schublade geschlossen wurde, aber vielleicht war es auch eine Tür. Sie wußte nur, daß sie auf dem Boden liegenbleiben und lange schlafen wollte.
    Der Winter des Jahres 1968 ließ sich häuslich nieder wie ein Einwanderer, der überhaupt nicht die Absicht hatte, in sein Heimatland zurückzukehren. Patty Jane prüfte ständig den Thermostat, denn trotz langer Unterhosen und dicker Pullover war ihr niemals warm genug. Mitten in der Arbeit, wenn sie gerade auskämmte oder färbte, bedrängten schreckliche Bilder sie: von Harriet, die blau und erfroren unter einer Brücke lag oder blutüberströmt auf irgendeiner Straße, Opfer eines Autofahrers, der sie nicht gesehen hatte, als sie ihm vor den Wagen getorkelt war. Von dem Schwindelgefühl überkommen, das diese Bilder stets begleitete, senkte sie dann den Kopf, und ihre Kundinnen fragten, ob es ihr nicht gut gehe, ob sie vielleicht ein Glas Wasser haben wolle?
    Zwischen Patty Jane und ihrer Tochter war Waffenstillstand geschlossen worden. Nora spürte, daß Patty Jane jetzt, da Harriet verschwunden war, alle Unterstützung brauchte. Sie stand jeden Morgen früh auf und kochte den Frühstückskaffee, eine liebevolle Geste, die ihre Mutter rührte. Wenn Nora ihre Hausaufgaben gemacht hatte, zündeten sie oft ein Feuer im Kamin an und setzten sich vor den Fernseher oder hörten sich einige von Harriets Schallplatten an.
    An diesem Abend jedoch war Nora zeitig nach oben gegangen, um sich in die Badewanne zu legen, die für sie zu einer Art Zuflucht geworden war.
    Die elektrische Uhr über dem Kühlschrank summte, und Patty Jane, die auf ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe starrte, dachte plötzlich voller Überdruß daran, wie oft sie dieses Spiegelbild angestarrt, wie oft sie an Küchentischen gesessen und auf jemandes Heimkehr gewartet hatte.
    Â»Was ist nur los mit mir?« fragte sie laut ihr Gegenüber. »Warum werde ich von jedem, den ich liebe, verlassen?« Sie legte ihren Kopf auf den Tisch, aber auch die Tränen und der Trost, den sie zu bringen pflegten, hatten sie verlassen. Sie sprang auf und schrie die Treppe hinauf, daß sie einen Spaziergang machen würde.
    Feuchte Schneeflocken, leicht wie Federn, fielen vom Himmel herab, und Patty Jane zog die Kapuze ihres Parkas fest zu. Sie liebte es, an windstillen Abenden, wenn der frisch gefallene Schnee den Klang ihrer Schritte dämpfte, durch sachten Flockenwirbel zu wandern. Sie ging den Parkway hinunter zum Nokomis-See und war überrascht und entmutigt, als ihre düstere Stimmung sich selbst nach längerem Marsch nicht aufhellen wollte.
    Sie rutschte und schlitterte den Hügel hinunter, der zum See führte, und als sie das weiße Ufer erreichte, warf sie sich in eine Schneewehe und wälzte sich darin, bis sie erschöpft

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