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Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Landvik
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Tasche, als Karen Spaeth sie beim Tango nach hinten kippte.
    Und am Donnerstag trat Harriet zu Reese aufs Podium, als er beim abendlichen Treffen der Anonymen Alkoholiker ihre Verlobung bekanntgab. Alle sprangen auf, und der Beifall, mit dem die Neuigkeit aufgenommen wurde, dauerte eine volle Minute.
    Â»Darauf müssen wir trinken!« rief Reeses Betreuer und lief zu der großen Kaffeemaschine, um die Pappbecher zu füllen.
    Â»Auf Reese und Harriet – ein langes, glückliches, alkoholfreies Leben«, sagte er, und überall im Raum wurden die dampfenden weißen Becher erhoben.
    Trotz der dichten Rauchschwaden aus den Zigaretten der Kettenraucher spürte Harriet eine gewisse Frömmigkeit in dem Versammlungsraum; sie waren ja in einer Kirche, wenn auch in ihrem engen kleinen Souterrain. Sie hatte die Zwölf Schritte , ihr Buch der Psalmen, auswendig gelernt. Sie und diese Menschen hier gehörten einer Gemeinde an, und sie hatten sich zusammengefunden, um sich und einander zu helfen, ein Bemühen, das einen Eckpfeiler elementarer Christlichkeit, wie Ione es nannte, bildete.
    Harriet konnte ihren Eltern jetzt verzeihen. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater an einem regnerischen Sommernachmittag zu ihr gesagt hatte: »Es gibt eine Million Gründe zu trinken, Harriet, und man braucht nur einen.« Sie verstand jetzt, daß der Alkohol einen mit eiserner Klaue packen konnte, um niemals wieder loszulassen.
    Sie nahm Patty Jane auf das Treffen mit, weil sie sich wünschte, ihre Schwester würde die Menschen und den Prozeß verstehen, die sie wieder zur Vernunft gebracht hatten. Den ganzen Abend warf Patty Jane verstohlene Blicke um sich, neugierig auf die Menschen, von denen Harriet mit so großem Respekt gesprochen hatte. In ihrem Innern mußte sie sich eingestehen, daß ihr normales Aussehen sie überraschte; sie hatte einen Saal voll triefäugiger Männer in zerlumpten Mänteln erwartet und Frauen, die wie Nutten von der Hennepin Avenue aussahen.
    Als Harriet das Wort ergriff, saß Patty Jane ganz still. Äußerlich war sie so reglos und unbewegt wie eine stehengebliebene Uhr; innerlich jedoch summte ein Laufwerk sich drehender Rädchen, deren Zähne ineinandergriffen und wieder auseinanderstrebten. Harriet wirkte so zerbrechlich, als sie dort oben auf dem Podium stand, dennoch bezweifelte Patty Jane, daß irgend jemand in diesem Raum stärker war.
    Â»Der Montag war gut – da hab ich den ganzen Tag in der Flotten Locke gearbeitet und Ione geholfen, Windbeutel zu backen, die übrigens so gut waren, daß ich gleich drei davon gegessen habe.« Sie wandte den Kopf ab und hustete hinter vorgehaltener Hand. »Dann hat Reese mich abgeholt, und wir haben uns einen Film angesehen, und alles war wunderbar. Aber gestern abend, als ich unter der Dusche stand, hatte ich auf einmal ein – ein wahnsinniges Verlangen nach einem Wodka Martini – die hab ich immer getrunken, als ich damals mit der Trinkerei anfing. Ich konnte an nichts anderes mehr denken; es war so, als hätt ich ein riesiges Neonschild im Hirn, das dauernd Wodka Martini, Wodka Martini, Wodka Martini blinkte. Reese und ich haben lange miteinander geredet, und ich hab ungefähr vier Gläser Zitronenlimonade getrunken – pur, ohne Wodka –, aber es war hart.«
    Patty Janes Arme überzogen sich mit einer Gänsehaut. Mein Gott, dachte sie, es ist immer noch ein Kampf. Harriet wirkte so glücklich und unbeschwert ganz ohne Alkohol, daß Patty Jane den Eindruck gehabt hatte, es fiele ihr leicht, nüchtern zu bleiben.
    Â»Es geht nur von Tag zu Tag«, erklärte Reese im Auto auf der Heimfahrt. »Ich habe jetzt seit neun Jahren nichts mehr getrunken, und trotzdem gibt es immer noch Momente, da hab ich das Gefühl, ich werd verrückt, wenn ich nicht sofort einen Bourbon kriege.«
    Patty schaute zum Fenster hinaus in die erleuchteten Fenster der Häuser in der Snelling Avenue.
    Â»Ich habe wahrscheinlich gehofft, das Verlangen wäre ein für allemal überwunden.«
    Â»Ach, wenn es so wäre«, sagte Harriet, geborgen zwischen ihrem Verlobten und ihrer Schwester. »Aber wir nehmen es eben ...«
    Â»... Schrittchen für Schrittchen«, vollendete Reese, und er und Harriet lachten leise.
    Patty Jane kehrte den fremden Menschen hinter all den erleuchteten Fenstern den Rücken, um sich denen an ihrer Seite zuzuwenden.

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