Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
hatte Bad und Küche nicht gereinigt, sondern desinfiziert. Er hatte das Schlafzimmer nicht gelüftet, sondern in ein Gefrierhaus verwandelt. Erst seit er dreimal die Woche zum Krafttraining ging, beschränkte er sich aufs Nötigste. So wie heute.
In Windeseile waren Wohnzimmer und Flur gesaugt und die Stiefel und Sportschuhe der beiden Damen dahin gestellt, wo sie hingehörten.
Auch wenn du’s nicht glaubst, Feli: Ich bin der Neue Mann, von dem die Frauen einst geträumt haben.
Jedenfalls im Summer of Love, und das schätzte er an Sophie Winters Roman. Auch wenn ihm die Mode der damaligen Zeit nicht lag, die Männer mit den langen Haaren und die Bräute mit den Blumen in der Frisur. Flowerpeople. Hippies. Er hatte nie ein Blumenkind zu Gesicht gekriegt, nicht im Fernsehen, zu Hause hatte man keins und erst recht nicht in der Realität. Die älteren Jungs in der Schule hatten Frisuren mit Scheitel und ausrasierte Nacken, die Mädchen durften noch nicht einmal Hosen tragen und steckten in dunkelblauen Faltenröcken, die fast bis an die Waden reichten. Miniröcke? So etwas gab es in Rüsselsheim nicht, erst recht nicht dort, wo die DeLanges wohnten, in der Siedlung, zu siebt auf 80 m 2 . Keine Drogen und keine freie Liebe, höchstens Bier und halbtote Ehen. Ausnahme: die DeLanges. 1969 kam Laura, da waren sie zu acht.
An viel mehr erinnerte er sich nicht. 1968 war er erst sieben und in der zweiten Klasse und schrecklich verliebt in die Klassenlehrerin, die einen dicken blonden Zopf trug und entzückende Sommersprossen hatte. Aber die zog die deutschen Mädchen vor, vor allem die Zwillinge, die noch blonder waren als sie und so schrecklich wohlerzogen taten.
Kleine altkluge Gastarbeiterkinder konnten da nicht mit.
DeLange schaltete den Staubsauger aus und verstaute ihn wieder in der Kammer. Dann inspizierte er das Bad. Irgendwann würden die beiden jungen Damen womöglich selbst ihre Haare aus dem Waschbecken fischen, aber das lag noch in weiter Ferne.
Bei den DeLanges wäre das nicht möglich gewesen, daß die Eltern hinter den Kindern herputzten. »Kommt nicht in Tüte«, pflegte Mamma zu sagen. Wie recht sie hatte.
Mamma Irene, geborene Simone. Verheiratet mit Luigi De-Lange. Beide aus Mailand. Wohnhaft in Rüsselsheim seit 1960. Fleißige Gastarbeiter, die nicht daran dachten zu rebellieren, schon gar nicht gegen das Wohlstandsparadies Bundesrepublik Deutschland. Und die Kinder sollten es einmal besser haben.
DeLange holte Eimer, Scheuermilch und Putzlappen aus dem Abstellraum und ging hinüber zur Küche. Flo hatte ihren Walkman unter dem Küchentisch vergessen. Und Caro ein paar schmutzige Socken. Wenn es mehr nicht war.
Das vierte Kind der DeLanges wollte es nicht besser haben. Es wollte endlich zurückhauen, wenn es nach der Schule wieder Klassenkeile kriegte wie fast jeden Tag. Und zu Hause Prügel von Federico. Vom ältesten Bruder. Es wollte sich wehren können. Und dann ist das Kind zur Polizei gegangen, mit nicht ganz 16. Liegt doch nahe, oder?
DeLange warf einen angebissenen Apfel in den Abfall. Und eine verschimmelte Zitrone. Zumal, wenn das Kind seinen elften Geburtstag am 5. September 1972 gefeiert hat. Und mit Pappa fernsehen durfte, weil Mamma ihrem Mann zu den Olympischen Sommerspielen in München endlich erlaubt hatte, einen Fernseher zu kaufen. Und dann sieht es die Hubschrauber mit den Geiseln auf dem Flugplatz vor dem Tower von Fürstenfeldbruck. Die Spuren der Explosion, den ausgebrannten Helikopter. Hört, daß keine der Geiseln des »Schwarzen September«, allesamt Sportler aus Israel, überlebt hat.
Als die GSG 9 gegründet wurde, hatte der kleine Giorgio seine Helden.
DeLange hatte alle Flächen in der Küche feucht abgewischt, rieb sie mit Küchenpapier trocken und schüttete dann eine ordentliche Dosis Danklorix ins zugestöpselte Waschbecken. Der scharfe Geruch des Bleichmittels zog durch die Küche und vertrieb die letzten Spuren von Kaffee- und Toastduft.
Er selbst wurde kein Held. Als er es nach Jahren in eine Spezialeinheit schaffte, wollte er so schnell wie möglich wieder weg. Und im übrigen war er auch nicht deshalb zu den Bullen gegangen.
Er gab Scheuermilch auf den Schwamm und reinigte den Herd von den Spritzern der vorzüglichen Sauce Bolognese, die er liebevoll gekocht hatte und dann ganz alleine essen durfte, weil die Damen Spaghetti verweigerten, seit sie in irgendeiner Frauenzeitschrift gelesen hatten, daß Nudeln dick machen. Und so was bei einem
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