Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
geht über das Glas, macht es opak, verschleiert das Bild, hüllt es ein. Bricht es entzwei.
Das Haus hat den Spiegel zerschlagen. Auf dem Boden blutige Fußspuren. Und überall die weiße Katze. Alisha.
13
Als Bremer die Einkäufe ausgepackt, geputzt, gesaugt, die Bettwäsche gewechselt und den Katzen Putenhäppchen serviert hatte, war der Tag fast vorbei, und ihn überfiel die tiefe Trauer eines enttäuschten Liebhabers. Klein-Roda war ihm wie das Paradies vorgekommen, als er endlich zurück war von der langen Reise mit Anne. Nichts gegen Dubai, aber die Suite im Emirates Palace war viel zu groß und ungemütlich gewesen, die sechs Flachbildfernseher ließen sich nicht ausschalten, und die goldenen Wasserhähne hatte man spätestens beim Zähneputzen in der Hand. Außerdem hielten die da unten nichts von Weißwein.
Als er nach neun Stunden Flug und drei Stunden Autofahrt in Klein-Roda angekommen war, hatte er Herzklopfen gehabt. Ob sie ihn wieder aufnahmen, die Katzen, sein Dorf? Das Haus hatte eher abweisend gerochen, nach feuchten Wänden und halbkompostierten Mäuseleichen. Auf dem Küchentisch ein Stapel Post, die Marianne alle paar Tage aus seinem Briefkasten gefischt hatte, darunter jede Menge verregneter Werbeprospekte und kostenloser Zeitungen, die schüchterne Mädchen und gehbehinderte Rentner in seinen Briefkasten stopften, obwohl dort seit Jahr und Tag ein »Nein, danke!« -Aufkleber pappte. Draußen verrottete das Laub auf den Wegen zwischen den Beeten, in denen die ersten Krokusse den letzten Schneeglöckchen begegneten. Das Haus sah schäbig aus, wie immer im Frühjahr, bevor der Wein ausgetrieben hatte und den grauen Putz gnädig verhüllte.
Aber schon am nächsten Tag war alles wieder gut. Die Katzen zierten sich nicht lange, sobald er Futter und Schmeicheleien aufbot, und nach und nach kamen auch die Nachbarn vorbei und taten, als ob sie Bremer vermißt hätten.
»Wird Zeit«, hatte Erwin gemurmelt, der kaum noch hustete, seit er das Rauchen aufgegeben hatte. Fast fehlte einem was.
»Na, endlich gehen hier abends wieder die Lichter an.« Gottfried brachte einen Zehnerkarton mit frischen Eiern mit. »Macht keinen Spaß, auf ein düsteres Loch zu gucken.« Gottfried und Marie wohnten am Friedhofsweg mit direktem Blick auf Bremers Hütte, weshalb ihnen nichts entging: ob er Besuch kriegte, den Gartenzaun strich, die leeren Weinflaschen zum Container brachte oder Postpakete bekam.
»Hast du schon gehört?« Marianne. Sogar der aktuelle Klatsch über die Ereignisse in Klein-Roda und um Klein-Roda herum hatte ihm all die Monate über gefehlt. Und als auch noch Wilhelm anrief, um ihm aufzutragen, mal nach den Gullys auf der Hauptstraße zu schauen – »die haben Sturm und Regen angesagt, und wenn der ganze Dreck nicht ordentlich in den Kanal geht …« –, als er der rauhen Altmännerstimme des Ortsvorstehers lauschte, packte ihn eine derart elementare Rührung, daß er fast ein paar Tränchen verdrückt hätte. Die Diagnose war eindeutig, und sie schreckte und freute ihn zugleich: Er hatte Heimatgefühle. Er hatte Klein-Roda vermißt. Er hatte tatsächlich in der schönen großen weiten Welt Sehnsucht gehabt nach einem kleinen stinkenden Dorf in einem abgelegenen Landstrich Deutschlands.
»Du verbauerst.« Eine stehende Redewendung von Karen Stark, dem Superweib aus der fiebernden Metropole am Main. »Komm wieder in die Stadt, damit du mal was anderes riechst als Gülle und Schweinestall. Lüfte dich aus.«
Es war ein alter Streit zwischen ihnen. Er hätte sich eine Wohnung in der Stadt leisten können. Ein Aktienpaket, das 2001 den Gang aller anderen Aktien gegangen war, nämlich nach unten, tief in den Keller, weshalb es sich damals noch nicht einmal gelohnt hatte, es zu verkaufen, hatte seitdem in seinem Schneewittchensarg gelegen und geschlummert, von aller Welt, vor allem von ihm, vergessen. Heute war es eine runde, pralle Schönheit, und zusammen mit dem Erbe seines Vaters bildete es ein Vermögen, von dem er sich zwar keine Suite im Emirates Palace in Abu Dhabi leisten konnte, aber mit Leichtigkeit ein geräumiges Loft in Frankfurt, vielleicht sogar in einem der neuen Apartmentblocks direkt am Main, mit Bootssteg. Die Rückkehr in die Stadt lag im Trend, niemand träumte mehr von der Idylle im Grünen, noch nicht einmal Eltern mit Kleinkindern. Aber irgend jemand mußte sich dem Trend ja widersetzen. Er liebte die etwas größere Gartenhütte, die er sein Haus auf dem Lande nannte.
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