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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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rote Flecken auf den Wangen. »Neigen Frauen auch dazu nicht?«
    »Marie!« Diesmal schaffte Gottfried es, sie in den Arm zu nehmen. Marie brach in Tränen aus. Bremer fiel auf, wie zart und durchscheinend sie geworden war und wie tief sich die Falten in ihr Gesicht gegraben hatten. Sie mußte ähnlich alt sein, aber sie sah weit älter aus als Sophie Winter. »Die Hexe.« Was hatte sie gegen die Frau?
    »Laß doch die alten Geschichten, Marie«, sagte Wilhelm leise.
    Alte Geschichten. Wilhelm, du wiederholst dich. War das nicht auch die eher schwache Begründung dafür gewesen, daß Ulla Abel nicht nach Sophie Winter gesehen hatte?
    »Was für alte Geschichten?«
    Wilhelm wich Bremers Blick aus. »Fang du nicht auch noch damit an, Paul«, sagte er leise, mit Blick auf Marie.
    »Ich muß dann mal.« Moritz löste sich von der Tür. »Ich sollte mich ein bißchen um Nicole kümmern.«
    Lucas Mutter war gestern hinter der Ladenkasse weinend zusammengebrochen – nach Tagen bewundernswerter Haltung.
    »Hab mich schon gefragt, wann sie endlich mal ein paar Gefühle zeigt. Ich an ihrer Stelle …«
    »Du bist nicht an ihrer Stelle, Marianne. Sei froh«, sagte Moritz leise.
    »Ich meine, man geht doch nicht einfach weiter arbeiten, wenn das eigene Kind …«
    »Besser, als allein in einem leeren Haus zu sitzen«, murmelte Wilhelm.
    Marianne schüttelte trotzig den Kopf. »Sie hätte mal lieber gleich zu Hause bleiben sollen. Als das Kind noch da war. Aber von geordneten Verhältnissen konnte bei Nicole ja nie die Rede sein.«
    »Das ist gemein«, sagte Moritz und ging hinaus.
    Marianne zuckte die Schultern. Gottfried streichelte beschwichtigend über Maries Arm. Und Wilhelm sah noch besorgter aus als üblich. Auch Bremer verabschiedete sich. So sind sie, die lieben Nachbarn, dachte er, als er den Friedhofsweg hinunterging.
    Hoch oben saß der einsame Star auf der Antenne und schnalzte und knödelte seelenvoll vor sich hin. Am Horizont zogen Flugzeuge weiße Streifen hinter sich her. Für einen Moment wünschte Bremer sich wieder weit weg.
     
    Ich vermisse dich
    Ich freue mich auf dich

3
    Es roch nach Schnee. Wilhelm hob das Gesicht in die trügerisch laue Luft. Auch wenn sich schon alles wie Frühling anfühlte: Es gab noch was auf die Mütze. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Nur Lilly glaubte ihm nicht. Aber wann glaubte sie ihm schon mal? Als er das Gartentor öffnete, sah er sie über den Hof trippeln, die Polster für die Gartenstühle unterm Arm. Die Gartenscheren, die Hacken, die Spaten standen schon an den Gartentisch gelehnt und warteten darauf, daß er sie säuberte und schliff und ölte.
    »Was habt ihr denn so lange zu besprechen gehabt?« rief Lilly, während sie den weißen Liegestuhl mit Schwamm und Lauge bearbeitete.
    Wilhelm brummte etwas Unverständliches auf dem Weg zum Schuppen. Die Flex brauchte eine neue Scheibe. Aber fürs Schleifen der Gartengeräte reichte es noch.
    »Was Neues von Luca?«
    Nein. Und das hieß nichts Gutes.
    »Unkraut vergeht nicht!«
    Ach, Lilly. Und wenn doch etwas passiert war? Wilhelm hatte so seine Vorahnungen.
    Er trauerte der Vergangenheit nicht nach, das nicht. Es hatte sich so viel verändert, und so vieles blieb gleich. Der eine schaffte seine Milchkühe ab, der andere stellte auf Schweinemast um, neuerdings gab es mehr Raps als Mais auf den Feldern, und ein gepflegtes Haferfeld war selten geworden. In den Gärten stand kein Rotkohl mehr, dafür gab es Zucchini und Stangenbohnen, Auberginen und Paprika. Die Feldlerchen stiegen wieder aus den Wiesen, nachdem sich jahrelang keine hatte blicken lassen; er hatte Kornblumen gesehen, letztes Jahr, und die jungen Frauen kriegten Kinder, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei. Alles ganz anders und alles wie immer.
    Wilhelm stellte Hacke und Spaten wieder in den Schuppen und holte die Sense aus der Ecke hinter dem Gartenregal. Aber diesmal – diesmal würde etwas geschehen, was alles verändern würde. Diesmal …
    Es würde schneien, wie in fast jedem Frühjahr um diese Zeit. Er würde sterben. Vor Lilly, wenn der Herrgott ein Einsehen hatte.
    Es gab das große Vergessen. Manchmal spürte er den Sog. Und manchmal hatte er Lust, ihm nachzugeben.

4
    Bremer trat gleichmäßig in die Pedale und versuchte gleichmäßig zu atmen. Beim Fahren wurde das Denken leicht und licht, ordneten sich die Gedanken neu und fügten sich zu überraschenden Erkenntnissen. Manchmal jedenfalls.
    Es war verblüffend, wie das

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