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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Paul Bremer, Beruf: Anachronist.
    Und was erwartete ihn schon in Frankfurt? Eine gute Freundin, die nie Zeit hatte. Sie hätte längst mal zurückrufen können. Ebenso wie Gregor Kosinski aus dem Nachbardorf, der völlig ausgebucht tat, seit er aus dem Polizeidienst ausgeschieden war.
    Klein-Roda war sein Paradies. Seine Spielzeugeisenbahnlandschaft, in der er die Weichen stellte. Sein Auenland. Sein ungetrübtes Glück. In diesem Paradies hatten verschwundene kleine Jungen nichts zu suchen. Und auch keine Frauen mit Rehaugen, die zerbrechlich aussahen und in Wirklichkeit eiserne Schmetterlinge waren, auch wenn sie zurückgezogen lebten und sich noch nicht einmal die Nachbarin um sie kümmerte.
    Das Buch? Er hätte sich nach dem Titel erkundigen sollen. Interessant, daß sie schrieb. War das vielleicht der Grund, warum Ulla Abel nicht nach ihr gesehen hatte? Weil man Schriftsteller für exzentrisch hielt, nicht von dieser Welt, zu intellektuell, unnahbar? Unwahrscheinlich. In Klein-Roda wußte man, was Städter und Intellektuelle vom Dorfleben hielten – und man wußte auch, daß man es besser wußte.
    Er war an eines der Bücherregale im Kaminzimmer gegangen, während der Notarzt Sophie Winter untersuchte. Ihre Bücher wiesen keine systematische Ordnung auf, allerdings gab es zwei Regalbretter mit Fachliteratur. Über das Drehbuchschreiben, über Kameraarbeit, über Fernsehdokumentationen. Also hatte sie etwas mit Film und Fernsehen zu tun gehabt.
    Beim Kaffeekochen in der Küche hatte er sich gefragt, wie es sich wohl lebte, so allein in einem so großen alten Kasten. Die Küche wirkte aufgeräumt, aber nicht gerade gemütlich, schon ihrer Größe wegen. Der Kühlschrank brummte, ein älteres Modell, bestimmt ein Stromfresser. In der Obstschale auf der Anrichte lagen eine Gewichtsmanschette, wie Jogger sie benutzten, um auch die Arme beim Laufen zu trainieren, ein Füllfederhalter und eine aufgerissene Tüte Fishermen’s Friend. Im Regal neben der Spüle und dem Wasserkocher standen Marmeladengläser, eine Blumenvase, eine Buchstütze, eine Tüte Haferflocken, ein Glas Marmite und eine Packung Fencheltee. Unter dem Fenster zwei Stühle an einem Tisch, der groß genug war für ein spartanisches Frühstück zu zweit. Aber wahrscheinlich saß sie jeden Morgen alleine hier.
    Und dann hatte er den Küchenschrank geöffnet, auf der Suche nach Kaffeebechern. Erst hatte er nicht begriffen, was er da sah: Zwischen den Tassen, Bechern und Schüsseln lagen Knochen. Weiße Knochen, sorgfältig arrangiert, ihrer Größe nach von Hasen oder Katzen. Ein Rattenschädel war auch dabei. Und der Unterkiefer eines größeren Tiers, könnte der eines Schafs gewesen sein. Oder eher eines Lamms. Es hatte ihn seltsam berührt. Warum sammelte sie Knochen? Aus Sentimentalität? Als Talismane? Oder als Rohstoff für schamanische Riten und Zaubertränke?
    Eine Hexe. Das würde passen. Und es würde erklären, warum sie dir so gut gefällt, dachte Bremer und verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln.
    Seine Laune hatte sich wie durch ein Wunder gehoben. Er lief kurz entschlossen nach oben und zog sich um, holte das Fahrrad aus dem Schuppen, schob es auf die Straße, schwang sich in den Sattel, trat kräftig an und fuhr der Abendsonne entgegen. Er mußte wieder Form kriegen, weniger essen, mehr radfahren. Fünf Kilo weniger bis Pfingsten! Der Mensch braucht Ziele.
    Bis zum Ortsausgang begleitete ihn der Duft aus Willis Schweinestall. Erst am Rande des Wäldchens begann die Luft nach feuchter Erde zu riechen. Und auf der Straße nach Groß-Roda war das Gefühl wieder da: der Traum vom Fliegen. Oben ein einsamer Milan, unten ein einsamer Mann, beides seltsame Vögel, beide frei. Bremer senkte den Kopf mit dem kurzen weißen Haar und duckte sich mit einem Juchzer in die Kurve.
    Kurz vor dem Ort waren Karlheinz und Ingo von der Gemeinde mit dem Zerkleinern einer Scheinakazie beschäftigt, die zerborsten am Straßenrand lag. Bremer bremste.
    »Wieder im Land?« Karlheinz hielt ihm die Pranke hin und drückte seine Hand, bis es weh tat.
    »Hab ich euch etwa gefehlt?«
    »Wie die Hühnergrippe.« Ingo grinste.
    Bremer lächelte noch immer, als er nach der Abkürzung über den Feldweg wieder zu Hause einlief. Die Sonne war untergegangen, und ein Wolkenband am Horizont hatte ihren rosigen Widerschein geschluckt.
    Keine Nachricht von Anne. Keine von Karen.
     
    Vermisse dich
     
    Er schickte die SMS an beide.

14
    Im Korbstuhl bewegte sich ein

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