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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Schatten und blähte sich auf. Über ihrem Kopf knisterte es. Am Fuß der Kommode flackerten kleine Lichter. Sophie setzte sich auf und unterdrückte einen Schrei. Es ist nichts, dachte sie und holte tief Luft. Es ist nur der Mond. Im Mondlicht kehrt sich alles um – das Lebendige erstarrt und das Tote erwacht.
    Sie zitterte vor Kälte, aber sie schob die Bettdecke von sich und stand auf. Fast hätte sie geschrien vor Schmerz. Ihre Füße. Sie ging wie auf Rasierklingen. Vorsichtig schlüpfte sie in die Pantoffeln, tastete sich vor zur Tür, wanderte wie in Trance die Treppe hinunter und öffnete die Haustür.
    Auf der Gartenbank hockte die Katze und starrte ins Gebüsch. Das Mondlicht zeichnete Schneisen auf den Boden unter den Nadelbäumen. Er war weich wie junges Moos.
    Die Katze sprang von der Bank und lief vor ihr her. Unter einem Strauch blieb sie hocken, einem Strauch mit graugrünen Nadeln, an dessen Zweigen silbrig glänzende schwarzblaue Früchte hingen. Sophie trat näher. Der Duft des Wacholders trieb ihr die Tränen in die Augen.
    Und dann hörte Sophie die Stimme des Vogels, ganz so wie früher.
     
    »Mein Mutter der mich schlacht,
    mein Vater der mich aß,
    mein Schwester der Marlenichen
    sucht alle meine Benichen,
    bindt sie in ein seiden Tuch,
    legt’s unter den Machandelbaum.
    Kiwitt, kiwitt, wat vör’n schöön Vagel bün ik!«
     
    Sie wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, knickte einen der Zweige ab, an dem die Wacholderbeeren schon reif zu sein schienen, und ging weiter.
    Der andere Geruch fuhr ihr erst in die Nase, als sie am Zaun zum Nachbargrundstück angelangt war. Er war so gegenwärtig und so vergangen wie die Stimme des Vogels. Jemand hatte einen Eimer Gülle über den Johannisbeersträuchern ausgeleert.
    Sophie schüttelte sich unwillkürlich. Der Geruch war widerlich. Schweinekühemenschenscheiße in flüssiger und brockiger Form – und dazwischen Slipeinlagen. Irgendwann würde sie das alles aus den Beeten scharren müssen.
    Doch als ein Schatten über den Mond zog, hatte sie keine Angst mehr. Das Gülle-Attentat war ein gutes Zeichen. Jemand hatte den Ball aufgenommen. Das Spiel begann.

N ACH DER L IEHE

1
    »Lies doch mal was für Erwachsene!«
    Harry Potter ist für Erwachsene, Flo.
    »Lies doch mal überhaupt was! Statt immer nur in den Spiegel zu glotzen!«
    Bingo, Caro. Das war ein Leberhaken. Aber jetzt husch. Raus in die weite Welt.
    DeLange horchte den beiden kleinen Zicken hinterher, rührte in seinem lauwarmen Milchkaffee, trank aus, stand auf und schob die CD ins Küchenradio. Die Stimmung verlangte nach Verdi. Eleonora! Io sol saprò soffrire. Mario del Monaco als Alvaro, in äußerster Lautstärke. »Ich werde allein zu leiden lernen!« Zum Gänsehautkriegen.
    Dann holte er den Staubsauger aus dem Abstellraum und legte los. Noch eineinhalb Stunden, bis er wieder am Set sein mußte. Vorher ins Büro zu gehen lohnte sich nicht. Und wenn er sich nicht gründlich ablenkte, blieben ihm eineinhalb Stunden, um sich Sorgen zu machen. Um den verschwundenen Jungen, um Flo und Caro, um Feli, die er nicht mehr gesehen hatte, seit sie sich mit den Mädchen in der Stadt traf. Und um über das Buch nachzugrübeln, das er Hannah zurückgeben mußte.
    Lieber nicht an Hannah denken. Hast dich lächerlich gemacht, Alter. Die ist ein paar Grad zu heiß für dich.
    Putzen lenkte ab. Und im Putzen war er nicht zu übertreffen. Auch wenn Feli das damals anders gesehen hatte. »Du vermittelst den Mädchen ein falsches Männerbild«, hatte sie gespottet, nachdem er sich für den Hausputz zuständig erklärte, für den in ihrem Leben angeblich nie Zeit war. DeLange mußte grinsen, wenn er daran dachte. Putzen als Therapie war die Idee der netten kleinen Dunkelhaarigen vom Zentralen Psychologischen Dienst gewesen, zu der er ein paarmal gegangen war, nachdem seine damaligen Kollegen ihn dazu überredet hatten. Überredet? Gezwungen. Mit vorgehaltener Pistole, sozusagen.
    »Du hast in letzter Zeit für unseren Geschmack ein paar Türen zuviel eingetreten, Jo. Du hast ein Problem. Lös es bitte.«
    Eines? Zwei, drei, viele, Jungs!
    »Glaubst du nicht, daß moderne Frauen es zu schätzen wissen, wenn Männer sich im Haushalt einbringen?« hatte er Feli gefragt und scheinheilig gelächelt dabei.
    »Einbringen ist in Ordnung. Aber ginge es auch etwas entspannter?«
    Er hatte das Putzen betrieben wie einen Großeinsatz: mit voller Körperkraft, schwerem Gerät und chemischen Keulen. Er

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