Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
Er setzte sich zu ihr und hielt ihr das Buch hin wie eine heiße Pizza im Karton.
Klemmi, dachte er. So wird das nie was mit den Frauen.
Sie rührte sich nicht, bis er die Hand mit dem Buch verlegen sinken ließ, aber sie hörte auch nicht auf zu lächeln. »Hast du’s gelesen?«
DeLange nickte.
»Und?«
Er legte das Buch in ihrer Reichweite auf den Tisch und wollte antworten. Aber sie sah an ihm vorbei. Ihr Lächeln vertiefte sich, es wurde zu einem Strahlen, sie stand auf.
Diesmal wußte DeLange sofort, daß es nicht ihm galt. Er drehte sich um. Ja, da war er wieder, der Mann, der im Leben der Hannah Lohberg eine Rolle zu spielen schien. Lang, schlank, elegant und mit polierter Glatze. Nikolaus Maurer.
Hannah hob die Hand, flatterte ihm eine Art Abschiedswinken zu und war ab sofort ausschließlich für Maurer da. De-Lange trat unauffällig den Rückzug an.
Nicht ins Büro. Sondern dorthin, wo er sich den verdammten Frust aus dem Leibe toben konnte. Er nahm den Matchbeutel aus dem Auto und ging zu Fuß Richtung Bahnhof.
Er fädelte sich ein in den Strom der Menschen, überholte geschmeidig und wich aus, wenn ihm jemand entgegenkam. Ein junger Mann in Anzug und Mantel, der mit ausladender Geste ins Nichts telefonierte. Eine lächelnde Frau im Sari. Ein ausgemergelter Typ mit leerem Blick. Eine junge Frau mit langem dunklem Zopf vor einem Zwillingskinderwagen. Ein Besoffener, der in sauberem Zickzackkurs über den Bürgersteig torkelte. Ein Pärchen, jung, Rucksacktouristen.
Er machte einen Umweg zur Taunusstraße und kaufte im Asialaden Zitronengras, Ingwer, Chilis und kleine Auberginen. Wenn Flo und Caro bei der Chorprobe waren, durfte er kochen, was sie nicht mochten: scharfe Shrimps aus dem Wok. Auf dem Rückweg kam er an zwei Nutten vorbei, die auf der Straße standen und rauchten. War das Rauchen mittlerweile auch im Puff verboten? Sauber.
Bei Rot über vier Spuren und Trambahnschienen. Links ab in die Niddastraße. Zwei Fabriketagen, weißgestrichene Wände, ruhiges Licht. Keine Musik. Keine aufgetakelten Bräute. Sondern graue Lederpolster, polierter Stahl und gutgeschmierte Mechanik.
Er lief die Treppe hoch zur Garderobe, zog sich um und kam mit dem Handtuch um den Hals wieder herunter. Das ganze Programm. Konzentration, Schweiß und Eisen. Immer am Limit. Und heute noch ein bißchen darüber hinaus. Erst die Beinpresse, die B6. DeLange legte 400 Pfund auf, auf jede Seite, stellte Lehne und Schulterpolster ein, fuhr den Sitz vor, ließ ihn einrasten, stemmte die Füße gegen die Platte, schloß die Augen und drückte das Gewicht nach vorn. Ganz langsam. Superslow. Bis ihm schlecht wurde.
In seiner Erinnerung war es immer kalt und naß und dunkel gewesen, wenn Randale angesagt war, damals, als er noch bei der Bereitschaftspolizei diente. Und trotzdem hatte er geschwitzt. Und geglaubt, die Menge zu riechen, die sich da vor ihm zusammenballte und aus der Steine und Flaschen flogen, die im Blitzlicht der Fotoapparate aufflackerten, bevor sie trafen. Eine dunkle Masse von Menschen, aufgeladen, drängend. Chöre der Wut, Stakkato des Hasses. Furchteinflößend, egal, wer sich da versammelte.
Er wischte sich mit dem Handtuch den Schweiß vom Gesicht und ging an die Stirnseite des Raums zur F1, für die schräge Bauchmuskulatur. Erst ging er auf 100 Pfund. Aber 110 fühlten sich bissiger an.
Wieder schloß er die Augen und sah die Szenerie vor sich. Ihr Gegenzauber war der Sound gewesen, den es gab, wenn er und die anderen alle zusammen den Helm aufsetzten und das Visier herunterklappten. Erst auffliegender Vogelschwarm, dann Guillotine. Wenn alle rhythmisch auf die Schilde klopften. Wenn sie erst langsam, dann immer schneller vorwärts marschierten im heißen Licht der Scheinwerfer, im Wasserwerferdampf.
»Steinzeitrituale!«
Ja, Feli. Hast ja recht, Feli.
Er atmete tief ein und ging hinüber zur C3. Ließ sich hochziehen und dehnen von 380 Pfund Eisen, bevor er das Gewicht herunterzog. Spürte, wie seine Wirbelsäule sich befreite, während seine Armmuskulatur zu vibrieren begann. Setzte das Gewicht zu laut ab. Merkte, daß er die Ruhe störte.
Rüber zur D7. Barrenstütz. Definiert den oberen Brustmuskel. Nach kurzem Zögern legte er gleich 440 Pfund auf.
Man braucht ein archaisches Ritual bei solchen Einsätzen. Als eine Art Beschwörung. Als Bitte um Schutz. Bevor man hineinmarschiert in einen Hagel aus Flaschen, Steinen und Stahlkugeln und in eine kalte Phalanx Schwarzgekleideter mit
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