Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
und hatte das Bett neben sich leer vorgefunden. Sie hatte auf die üblichen Geräusche aus dem Bad nebenan gehorcht. Nichts. Sie war aufgestanden und ans Fenster gegangen.
Etwas bewegte sich in Sophie Winters Garten. Sie hatte es blitzen gesehen, mehrmals. Das Licht einer Taschenlampe? Oder das Blitzlicht eines Fotoapparates? Peter fotografierte wieder, auch das war neu. »Und was?« hatte sie gefragt.
»Interessiert dich doch eh nicht.«
Hatte er etwas mit der Winter? Frühlingsgefühle? Zu früh. Es würde noch mal schneien, das hatte sie in den Knochen. Und dann – ausgerechnet die Winter? Er haßte sie. Doch vielleicht tat er nur so?
Sie ist zu alt, dachte sie. Was kriegt er denn da, was er zu Hause nicht hat?
Aber Ulla Abel machte sich nichts vor. In der Ehe der Abels spielte sich schon längst nichts mehr ab, und das war ihr völlig recht so. Was Peter bei ihr hielt, war Lethargie. Was Ulla bei Peter hielt, war Gewohnheit. Es sei denn, sie bräche mit ihren Gewohnheiten. Mit dem morgendlichen Fegen aufzuhören schien ein schöner Anfang zu sein.
Ulla Abel stellte den Besen an den Gartenzaun, fingerte eine zerknitterte Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und hielt ihr Gesicht in den Wind, der eine Wolkenwand über den blassen Himmel schob. Irgend etwas geschah. Es erregte sie wie der Rauch, mit dem sich ihre Lunge füllte.
Das Leben versprach spannend zu werden.
3
Kühl war es geworden, und jetzt nieselte es auch noch. Bremer zog sich die Kapuze über den Kopf, während er die Anhöhe hinaufradelte. Der Frühling machte Pause.
Nur er schien das Ende der warmen Tage zu bedauern. Willi, der ausnahmsweise untätig an der Hofeinfahrt herumgestanden hatte, als Bremer vorhin losfuhr, frohlockte über den Regen und die Abkühlung. »Im Frühjahr braucht die Frucht Feuchtigkeit!« Alle anderen waren wahrscheinlich ähnlich erleichtert, denn wer konnte sich schon an einem warmen Frühling freuen, wenn man sich vor der Klimakatastrophe fürchten mußte?
Selbst Willi hatte neulich von »Klima« gesprochen – früher hätte er Wetter gesagt –, zwar nicht in Verbindung mit »Katastrophe«, aber seinem Gesicht sah man an, daß er nichts mehr für ausgeschlossen hielt. Et tu, brute. Bremer fühlte sich langsam auf verlorenem Posten.
Am Ortsausgang warb ein Plakat für eine »Ü-50-Disco«. Die Generation, die nicht abtreten will. Aber was blieb ihr anderes übrig angesichts der schwindenden Masse der Jüngeren?
Durchhalten, dachte Bremer. Bis ins Grab.
Mit 50 war man nicht mehr jung und mit 75 noch nicht alt. Nur Wilhelm, der war schon weit über 80. Dem konnte man nicht mehr kommen mit »forever young«. Alle anderen in und um Klein-Roda aber unterwarfen sich der Gesundheitspropaganda von Ärzten, Krankenkassen und Politikern. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und des wachsenden Anteils der Älteren an der Bevölkerung galt es neuerdings als nationale Pflicht, fit und gesund zu bleiben.
So hält man die Bürger auf Trab: mit der Angst vor der Klimakatastrophe und dem Altersheim, dachte Bremer und horchte auf seinen Puls.
Jedenfalls sah man schon seit geraumer Zeit feierabends Bataillone von Radfahrern und Horden von Menschen mit Laufstöcken die Feldwege bevölkern, alle auf der Suche nach der ewigen Jugend. Selbst Marianne und Willi machten sonntags lange Ausflüge mit dem Rad, und bis auf die Wirbelsäule und die Knie, typische Schwachstellen einer hart arbeitenden Landfrau, war Marianne ein Bild der Gesundheit.
Bremer hielt sie alle für Spaßverderber. Radfahren gegen das Älterwerden? Was für ein Quatsch. Er fuhr Rad, weil er sonst schlechte Laune kriegte. Basta. Und nur eine SMS von Anne hatte ähnlich aufbauende Wirkung wie eine Tour über Berg und Tal.
Guten Morgen Licht des Lebens
Ich grüße den Quell meiner Freude
Vermißt du mich
Mit jedem Atemzug
Hinter dem Ortsschild von Groß-Roda bog er ab. Es war keine Menschenseele auf der Straße, nur im Bauernhof an der Straßenkreuzung sah man eine Frau in Gummistiefeln und mit Kopftuch den Pferdestall ausmisten. Bremer grüßte und nahm den Weg hoch zum Neubauviertel, in dem Walter Manz gearbeitet hatte, bevor man ihn festnahm. Da Luca noch immer nicht gefunden war, weder tot noch lebendig, hatte man Manz wieder auf freien Fuß gesetzt. Niemand wollte ihn mehr beschäftigen, aber wegziehen durfte er auch nicht. Die Rolläden vor den Fenstern seiner Wohnung blieben tagsüber unten. Er trank, berichtete Marianne.
Bremer trat
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