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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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deuten.
    »Sie ging ein und aus bei denen, unsere Erika. Irgendwann bin ich zu ihnen hin. Zu den Hippies. Aber es war nur eine da. Sophie Winter.« Marie spie den Namen aus wie ein störendes Insekt.
    »Sophie Winter?« Marie war verrückt.
    »So hieß sie doch gar nicht.« Gottfried klang kläglich.
    »Nein. Damals hieß sie anders. Aber sie war es. Ich bin mir sicher.«
    Sophie Winter wohnte damals schon in »Heinrichs Verhängnis«? Wenn das stimmt, erklärt das manches, dachte Bremer. Die Abneigung gegen sie. Und die Angriffe.
    »Und wißt ihr, was sie gesagt hat?«
    Marie richtete sich auf und wischte mit dem Handrücken das Wasserglas vom Tischchen, das neben dem Sofa stand.
    »›Lassen Sie Erika doch einfach glücklich sein! Sie lacht, sie lebt, sie liebt – was ist denn dabei?‹«
    Maries Hand hatte sich um die Decke gekrampft, die ihr Gottfried liebevoll über die Beine gebreitet hatte. »Und dann kamen die anderen beiden. Der Kerl hat gegrinst. Und was von freier Liebe erzählt.«
    Draußen fuhr Willi einen seiner Traktoren den Feldweg hoch zur Scheune. Die friedlichen Zeiten, in denen Bremer sich mit Kosinski darüber hatte unterhalten können, um welches Modell es sich handelte, waren lange her.
    »Und – was war dabei?« fragte er sanft. »Weil Erika minderjährig war?«
    »Sie war 17. Und sie war nicht ganz richtig im Kopf. Das war dabei«, antwortete Gottfried.
    Marie lachte auf. »Und hat das damals auch nur irgendeinen von euch Männern gestört?«
    Gottfried gab keine Antwort.
    »Sie war mannstoll. Sie trieb es mit jedem. Aber sie war meine Schwester.« Maries Stimme wurde immer müder, und schließlich begann sie leise zu schluchzen.
    Bremer verabschiedete sich. Gottfried brachte ihn zur Haustür. »Das ist sie«, sagte er leise und zeigte auf ein Bild, das in der Küche über der Bank hing und das Bremer nie aufgefallen war – zwei rote Rosen, wie man sie auf dem Jahrmarkt schießen kann, verdeckten es. Das Mädchen auf dem Bild hatte riesige dunkle Augen und langes schwarzes Haar. Sie trug Blumen im Haar. Erika war in der Tat etwas Besonderes gewesen.
    »Marie hat ihren Tod nie verwunden.«
    »Woran ist sie gestorben?«
    »Wir haben sie im März 1971 unten am Wehr gefunden. Bei Hochwasser. Sie muß in den Bach gestürzt und ertrunken sein.« Gottfried schwieg für einen Moment. »Vielleicht ist sie auch hineingesprungen.«
    Wieder streckte Gottfried die Hand aus. Diesmal ergriff Bremer sie mit beiden Händen.
    »Danke«, sagte sein Nachbar.
    Bremer schob das Rad nach Hause und stellte es in den Schuppen. Drinnen warteten schon die Katzen auf ihn. Diesmal fütterte er Nemax und Birdie ganz ohne die übliche Hingabe. »Mannstoll« hatte Marie ihre Schwester genannt. Und dabei hatte sie nicht schockiert ausgesehen, sondern wütend. »Sie trieb es mit jedem.« Auch mit Gottfried? Er hatte nicht zu fragen gewagt. Aber es sah ganz danach aus.
    Langsam begann Bremer seinen Nachbarn zu begreifen. Wenn es stimmte, was Marie sagte, dann hatte ihre Schwester die ganze Gegend gründlich durcheinandergebracht – und war schließlich nur noch bei den Hippies willkommen gewesen. Ausgerechnet bei diesen drei störenden Fremden, die freie Liebe predigten, wahrscheinlich Rauschgift nahmen und seltsame Riten vollführten.
    Man mußte Erika vor sich selbst schützen. So hatte Gottfried das gesehen. Aber vor allem, dachte Bremer, wollten die Frauen, wollte Marie die Männer des Dorfes und damit sich selbst und ihren häuslichen Frieden vor Erika schützen.
    Birdie und Nemax lagen einträchtig auf dem Sofa, als er ins Wohnzimmer kam, zeigten beim Gähnen kleine spitze Zähne im rosa Maul und dachten nicht daran, ihm Platz zu machen. Er schob sie zur Seite, setzte sich dazu und streichelte sie, bis beide schnurrten.
    Langsam dämmerte ihm das Ausmaß des Dramas, in dem die drei jungen Leute damals ihre Rolle spielten und von dem sie womöglich nichts ahnten. Gottfrieds Blick. Dieser Ausdruck treuer, ja hündischer Ergebenheit in seinen Augen. Er hatte das, was er damals tat, für Marie getan, konnte man darin lesen. Er würde noch immer alles für Marie tun.
    Alles? Plötzlich hatte er sie wieder vor Augen, die Szenen aus Easy Rider. War da doch mehr gewesen als eine bloße Prügelei, wie Gottfried behauptete? War Erika freiwillig ins Wasser gegangen, oder hatte jemand nachgeholfen? Und was war mit Luca? Hing auch sein Verschwinden mit den damaligen Ereignissen zusammen?
    Nein, es ist nicht immer richtig, alles

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