Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
den Einbrüchen entweiht. Er konnte keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen an diesem Ort. Nicht, solange die ganze Sache ungeklärt war. Er stand auf und verließ das Haus erneut. Seine Füße trugen ihn automatisch zu der Adresse, die sie unzählige Male aufgesucht hatten. Er würde dieses Ziel im Schlaf finden: Jan-Patricks Goldener Ritter.
Seine Analyse setzte er fort, kaum dass er saß. Er war in seinen Gedanken bei den Opfern. Es gab keine Zufälle bei der Auswahl, so viel war ihm inzwischen klar. Der, der das Bild – sorgfältig vor den Wirren der Zeit geschützt in Wachspapier gehüllt – in dem Metallschuber unter den Fußbodenbohlen im Dürerhaus gefunden hatte, musste sterben. Und der, der es sich unter den Nagel gerissen hatte, musste es ebenfalls.
Paul saß an der Theke des Goldenen Ritters und beobachtete gedankenverloren Jan-Patricks Eifer.
»Zucchini-Blüten im Bierteigmäntelchen auf einem Klecks Auberginen-Püree, darauf platziert zwei Wachteleier und Kaviar, beträufelt mit einer Consommé von Hummer und Scampi«, tuschelte der Koch, während seine Finger über die Zutaten wirbelten. »Ist es nicht herrlich?«, sagte der Küchenchef in schwärmerischem Ton, als seine Hände in eine aufgezogene Schublade voller Kräuter griff. »Der Duft des Mittelmeeres. Frisch eingetroffen von der Insel Unije südöstlich von Istrien.« Jan-Patrick rieb die Kräuter zwischen seinen Fingern. »Dort beginnt bald der Frühling. Blau blühender Rosmarin und lila Thymian, danach entfaltet der wilde Salbei seinen starken Duft …« Schließlich riss er sich los und fragte: »Was darf ich dir servieren?«
»Eine Antwort«, sagte Paul lapidar. »Was würdest du tun, wenn du an – sagen wir mal – zehn Millionen Euro kommen würdest?«
Die Antwort des Kochs kam wie aus der Pistole geschossen: »Zwanzig Sorten Mineralwasser auf die Karte setzen. Und fünf Sorten Salz zum Käsedessert. Zwölf Sorten Kaffee. Und vielleicht auch so ausgefallene Nachspeisen wie Kastanieneis mit Birnenragout auf weißen Trüffeln. Oh, klingt gut. Muss ich mir unbedingt aufschreiben.« Damit entfernte sich Jan-Patrick selbstversunken und ließ Paul mit dem Gefühl zurück, dass jeder, aber wirklich jeder ausreichend Grund dafür hatte, auf ein bisher unbekanntes Dürer-Bild im Wert von mehreren Millionen Euro scharf zu sein, was die Suche nach dessen Verbleib nicht einfacher machen würde.
Die zweite Frage, nämlich warum eine Kopie erstellt worden war, erwies sich als weniger pauschal zu beantworten. Womöglich, dachte Paul, war die Kopie ein Selbstzweck. Eine Rückversicherung. Aber eine Rückversicherung für was?
33
Das Hochdruckgebiet war stabil. Es sorgte für wohltuend intensives Sonnenlicht. Die frostige Kälte klammerte sich zwar weiterhin verbissen an die Stadt, aber wenigstens war es hell und der Himmel blau, so dass die Menschen hoffen konnten. Paul strich suchend durch die Gassen des Burgviertels. Immerhin hatte er einen Plan.
Er kreuzte den hoffnungslos vereisten Tiergärtnertorplatz, auf dem sich im Sommer die Touristen drängten und an lauen Abenden die Studenten bis tief in die Nacht diskutierten, tranken, musizierten und auf dem die Pärchen knutschten. Er bog in den Tunnel unter der Burgmauer ein, kehrte dann aber um. Er setzte seinen labyrinthischen Weg fort. Vor dem Obststand am Ende der Lammsgasse fand er schließlich, was er suchte.
Der Kontaktbeamte war gerade dabei, ein Bündel Apfelsinen in die Höhe zu halten. So, als suchte er nach Mängeln, um den Preis drücken zu können.
Paul überredete den Polizisten zu einem schnellen Espresso bei Jan-Patrick, und der bohnenstangendürre Beamte kam tatsächlich mit. Jan-Patrick war in Pauls neueste Pläne inzwischen eingeweiht und hielt sich zurück, als Paul und sein Begleiter eine stille Nische in dem Lokal aufsuchten.
Die beiden steckten die Köpfe zusammen. Es entspann sich eine lange Diskussion; genau, wie Paul es erwartet hatte.
»Ich habe einen sehr konkreten und begründeten Verdacht, und ich möchte, dass Sie mir helfen, diesen Verdacht zu erhärten«, sagte Paul ernst.
»Wenn es um die Einbrüche bei Ihnen geht, ist die Sache doch längst geklärt«, wandte der Kontaktbeamte ein.
»Nein, nein«, stellte Paul klar und klärte ihn darüber auf, dass der Fall Densdorf aus seiner Sicht kurz vor dem Abschluss stand.
Der Polizist starrte ihn ungläubig an. »Sie reden tatsächlich … also, Sie sprechen mit mir hier und jetzt gerade über … die
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