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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinssen
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Akute Einsturzgefahr.«
    »Du übertreibst«, sagte Paul.
    »Nein, nein.« Lena nahm die nächsten Treppenstufen mit der Leichtigkeit eines Kindes in der gewohnten Umgebung der elterlichen Wohnung. Sie schlug eine Plane zurück, die das noch nicht zum Abschluss gebrachte Dachgeschoss vom Rest des Gebäudes abtrennte. Beide standen jetzt in einem geräumigen Dachboden, von wuchtigen Balken gehalten, die roten Dachschindeln frei von jeder Isolierung auf frisch eingezogenen Querlattungen ruhend. Lena deutete auf einen alten Stahlträger, der, in drei Teile zersägt, auf seinen Abtransport wartete. »Sieh dir das an. Die Bausünden meiner Vorgänger!«
    Paul sah sich um, und das Balkenlabyrinth machte auf ihn tatsächlich den Eindruck, als hätten zu viele Köche in einem Brei gerührt. »Ich bin kein Experte«, sagte er.
    »Dafür hast du mich. Ich versuch’s mal auf die einfache Art: 1503 ist aus dem ursprünglichen Dach ein Frackdach gemacht worden, das allerdings nur zu einer Seite abgestützt wurde. Die andere drückte seit diesem Eingriff auf die Wände der Geschosse darunter. Das führte immer wieder zu Druckverbiegungen und Verschiebungen. An den Kehlbalken zum Beispiel sind dem Kräfteverlauf entsprechende Druckverbindungen herzustellen, aber das hat niemand erkannt.«
    »1503? Warum ist das Haus dann nicht schon viel früher in sich zusammengefallen?«
    »Ein Gebäude hilft sich selbst, indem es das Gewicht neu verteilt.« Lena setzte eine bedauernde Miene auf. »Aber einzelne Unterzüge sind unter der Last durchgebrochen wie Streichhölzer. Jahrhundertelang wurde dann Flickschusterei betrieben.«
    »Und der Stahlträger?«
    »Der kam erst nach dem Krieg. Er sah spektakulär aus, brachte aber nichts.« Lena ging zu einer schmalen Stiege, die auf einen weiteren kleinen Dachboden führte. Sie kletterte zwei Stufen hinauf und strich mit ihrer Hand über das durch Versatzstücke stabilisierte Holz eines Balkens. »Man muss sich mit einem alten Haus wie mit einem Kranken befassen: Wo gibt es Verstauchungen, wo sind Rippen gebrochen? Wo genau liegen die Schwachpunkte, die die Statik gefährden?«
    »Du hast dem Kranken wieder auf die Beine geholfen«, sagte Paul anerkennend.
    »Na ja«, sagte Lena mit ihrem stolzen Kleinmädchenlächeln. »Ich würde sagen: Der alte Herr ist dem Sensenmann noch einmal entwischt und hat gute Chancen, die nächsten fünfhundert Jahre zu überdauern.« Lena stieg zurück. Nachdenklich kam sie auf Paul zu. »Was mich begeistert hat, ist die Authentizität dieses Gebäudes. Weißt du, in den sechziger Jahren hat kaum ein Nürnberger ernsthaft daran geglaubt, dass vom original Dürerhaus überhaupt noch etwas übrig ist. Aber wir haben heute ja Methoden, das festzustellen.« Sie fasste Paul an den Schultern. »Vom Dachstuhl abwärts sind neunzig Prozent echt und immer noch solide. Wir stehen hier wahrhaft und tatsächlich in einem der, wenn nicht in dem ältesten Gebäude Nürnbergs!«
    Pauls Interesse war mehr als geweckt, als sie den Dachboden in Richtung des Raumes verließen, der ihn hierher gelockt hatte.
    »Ein so altes Gebäude hat Geheimnisse.«
    »Und ob«, bestätigte Lena. »Aber wir kennen nur die wenigsten.«
    »Du meinst die Federkiele, die gefunden worden sind?«
    »Ja. Und einige Inschriften, Kritzeleien und Zeichnungen von Zimmerleuten, die wir in einem schmalen Zwischenraum unterm Boden entdeckt haben. Teilweise sind sogar original Wandfassungen mit schrillen Mustern aufgetaucht. Der Geschmack des Dürer-Clans war ziemlich poppig.«
    Sie betraten das Zimmer, in dem der Schreinermeister gestorben war. Sofort fiel Pauls Blick auf die dunkelrote Verfärbung auf den Holzdielen. Die scheinbar magnetische Wirkung, die von dem eingetrockneten und für alle Zeiten konservierten Blut des toten Handwerkers ausging, ließ gar keine andere Blickrichtung zu. Paul schauderte.
    Sie standen in dem Raum, und Lenas Redefluss versiegte.
    »Du weißt, warum ich hier bin«, sagte Paul, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen hatten.
    Sie nickte. »Du hast es ja am Telefon angedeutet: Der Fall Densdorf treibt dich noch immer um. Böse Sache. Ich glaube bald, die Angelegenheit wird sich nie aufklären lassen.«
    »Hast du alles vorbereitet, worum ich dich gebeten hatte?«, fragte Paul.
    »Ja, aber ich kann noch immer nicht den Sinn der Sache erkennen.«
    »Warte es ab.«
    Lena kniete neben dem Blutfleck auf dem Boden und öffnete einen bereitstehenden Werkzeugkoffer. »Es gibt Orte und

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